Sie wirkt athletisch und groß – fast 1,80 Meter . Aber eigentlich ziemlich schmal für eine, die an der Weltspitze mitrudert. Marlene Sinnig war 2012 bei der Olympiade in London dabei und wurde Sechste im Zweier ohne Steuerfrau, bei den Europameisterschaften 2013 in Sevilla Zweite, und bei der WM 2013 in Südkorea belegte sie immerhin den 8. Platz; meist gemeinsam mit ihrer Kleinbootpartnerin im Zweier, Kerstin Hartmann aus Ulm. Marlene Sinnig ergänzt: „Wir waren in Deutschland immer die Schnellsten. Seit 2009 sind wir hier ungeschlagen.“ Alle diese Erfolge sammelte die 30-Jährige als Mitglied des Crefelder Ruder-Clubs 1883 (CRC), in den sie, ursprünglich aus Rostock stammend, im Jahr 2009 eintrat und dem sie seitdem die Treue hält. Hier fühlt die Sportlerin sich wohl, beim kleinen, aber feinen Ruder-Club der Samt- und Seidenstadt, der national zu den angesehensten Ruderclubs zählt, wie Vereinsvorsitzender Christoph Lüke nicht ohne Stolz erzählt. 

Bei den etwa 500 Rudervereinen in ganz Deutschland sei der Crefelder RuderClub 1883 „ganz weit vorn“ , so Christoph Lüke weiter: „In der Ruderbundesliga gewinnen die Männer im Achter seit sechs Jahren, und die Frauen sind in den letzten drei Jahren jeweils Erste geworden. Bei den Olympiaden haben wir immer Athleten vom CRC dabei: sowohl in Athen und Peking als auch in London, und auch bei den Weltmeisterschaften können wir regelmäßig zeigen, wie gut unsere Ruderer sind!" Das klingt sehr erfolgsorientiert und siegessicher. Tatsächlich ist die Bilanz des traditionsreichen, ältesten Sportvereins in Krefeld sehr gut, und das seit Jahrzehnten. Christoph Lüke führt das unter anderem auf die strategische Nachwuchsförderung des CRC zurück und erklärt: „Seit 20 Jahren kümmern wir uns intensiv darum, Talente zu entdecken und zu fördern. Wir gehen im Frühjahr in weiterführende Schulen in Krefeld und stellen unsere Sportart vor. Wir bieten Schnupperkurse, damit die Kinder und Jugendlichen testen können, ob Rudern etwas für sie ist. Wir fördern jeden nach seinen Möglichkeiten.“ Das sei, so Christoph Lüke, das Entscheidende dabei: Dass die Trainer sich nicht nur um die besonders Ehrgeizigen und Begabten, sondern um alle Mitglieder kümmern. Auch um die, denen es nicht gegeben ist, Bestleistungen zu erzielen und Preise und Medaillen zu erringen. Der Vorsitzende des CRC führt aus: „Wir kennen uns eigentlich alle, und es herrscht eine familiäre Atmosphäre im Verein. Das ist neben dem ganzen Leistungssport unsere Basis.

Auch wer kein Olympionike ist, soll bei uns glücklich werden. Nach einem Wettkampf werden alle herzlich empfangen, auch diejenigen, die nicht so erfolgreich waren.“ Als Marlene Sinnig 2007 in ihrem Heimatverein in Rostock die Olympiaqualifikation für Peking knapp verpasste, fühlte sie sich dort nicht mehr willkommen und wechselte zum CRC. Hier fand sie, wie sie sagt, „tollen Rückhalt“ im Verein und ideale Trainingsbedingungen in Krefeld und in Dortmund, wo sie ihren Hauptwohnsitz hat. Dieser Rückhalt ist wichtig, wenn man wie sie als Soldatin der Sportfördertruppe bei der Bundeswehr im Kader der Olympiamannschaft dabei ist und ständig gute Leistungen bringen muss. Für Amateure ist Rudern ein beliebter Wassersport, der meist genüsslich draußen in der Natur ausgeübt wird. Mit Rudern lassen sich nicht nur nahezu alle Muskelgruppen und gleichzeitig Ausdauer, Koordination, Herz und Kreislauf trainieren, sondern mit jedem Zug kann Stress abgebaut werden. Das Verletzungsrisiko ist sehr gering, weshalb der Sport auch gut zur Rehabilitation und zur gesundheitlichen Prävention geeignet ist. 

Wer jedoch an Ruder-Wettkämpfen teilnehmen möchte, muss regelmäßig hart trainieren und mit Disziplin, Ehrgeiz und Ausdauer mehrmals pro Woche oder sogar täglich ins Boot steigen. Marlene Sinnig macht das seit ihrem 13. Lebensjahr; um so weit zu kommen wie sie, müsse man sehr viel Zeit opfern, sagt die heute Dreißigjährige, und beschreibt ihren Arbeitsalltag: „An sieben Tagen die Woche wird trainiert, zweimal täglich rudern, laufen, Fahrradfahren, Gymnastik, und Krafttraining. Dazu kommt täglich Physiotherapie, und dann muss man sehen, dass man viel und richtig isst.“ Tatsächlich ist die Ernährung bei Spitzensportlern eine Herausforderung, wie Marlene Sinnig erläutert: „Ruderer müssen ordentlich zulangen: Männer brauchen etwa 8.000 Kalorien, Frauen 6.000. Das ist manchmal richtig Arbeit, man muss essen, auch wenn man längst satt ist. Und täglich kontrollieren, dass man nicht leichter wird.“ Das Gewicht brauchen gute Ruderer für die Kraft, bestätigt CRC-Vorsitzender Christoph Lüke: „Das vorherrschende Schönheitsideal ‚mager‘ geht bei uns gar nicht. Da stehen unsere Frauen aber auch drüber. RuderInnen sind athletisch und durchtrainiert.“ Marlene Sinnig gehört mit ihren 1,76 Metern übrigens zu den kleineren und zierlicheren Ruderinnen. Allerdings habe sie, so Lüke, die Fähigkeit, extrem viel aus ihrem Körper herauszuholen, und sie besitze ein unschlagbares Gefühl dafür, ihre Körperkräfte „vortriebswirksam“ einzusetzen. Zudem sei sie sehr beweglich und fokussiert.

Mit „fokussiert“ meinen Sportler die Gabe, sich vollkommen auf ein Ziel zu konzentrieren und alles darauf auszurichten – sogar wenn es weh tut. Marlene Sinnig beschreibt: „Beim Sprint ist die Muskulatur völlig übersäuert. Der Schmerz ist unbeschreiblich, und danach kann man kaum noch laufen. Da trainiert man seine Leidensfähigkeit und Belastbarkeit.“ Dieses Training wird Marlene Sinnig nun wohl zu Gute kommen bei ihren nächsten Vorhaben. Schon bei der Geburt ihres Söhnchens Piet Mitte März half der jungen Mutter die extreme Fitness, die sie durch das Rudern hat: Eine Dreiviertelstunde, dann war das Baby da. Über den Geburtsschmerz sagt Marlene Sinnig, dass sie ihn „nicht so schlimm“ fand. Und obwohl sie den Kleinen noch glücklich und erfolgreich stillt, trainiert sie seit der Karwoche wieder. Denn im Sommer will die junge Mutter schon so weit sein, dass sie sich für die Teilnahme an der Sommerolympiade 2016 in Rio qualifiziert. Es wird nicht leicht für sie werden, ihr Trainingspensum mit einem Säugling durchzuziehen. „Ein Ritt auf Messers Schneide“ , sagt auch Christoph Lüke, selbst Vater weniger Wochen alter Zwillinge, „aber wenn es eine schaffen kann, dann ist das Marlene.“ Wir drücken die Daumen!

Crefelder Ruder-Club 1883 e.V., Infos unter www.crefelder-rc.de