„Dopdödödö....SEIDENSTADT!“ Wenn die Nord dieses Lied skandiert, gibt es in der gesamten Arena Gänsehaut. Eingängig, emotional und solidarisierend finden alle Krefelder im Begriff „Seidenstadt“ eine gemeinsamen Heimat. Aber warum ist das so? Warum ist Krefeld die Seidenstadt oder zweitweise „Die Stadt aus Samt und Seide?" Lang, lang ist's her, auch wenn sich die Spuren des Seidenmonopols bis heute im Stadtbild und der hiesigen Industrie finden lassen. Heute im Schatten des großen Bruders aus Düsseldorf stehend, war Krefeld einst unter dem preußischen Protektorat die reichste Stadt Europas, ein Musterbeispiel für wirtschaftlichen Aufschwung und Blaupause des Merkantilismus. Dabei ist Krefeld mitnichten eine homogen gewachsene Stadt, sondern letztlich der Zusammenschluss vieler heutiger Stadtteile mit starker eigener Identität. Seide verbindet sie alle.

 

Erstmals 1105 urkundlich erwähnt, durchlief Krefeld viele Kriege und Katastrophen. Der Ursprung der Stadt ist um die Burg Cracau zu begreifen. Anfänglich unterstand diese dem Moerser Grafen, Uerdingen und Linn wurden viel später zu Städten erhoben. Dem Haus Oranien ab 1600 zugehörig, blieb Krefeld weitestgehend vom 30-jährigen Krieg verschont, bot Zuflucht und Glaubensfreiheit für verfolgte Minderheiten. Diesem Versprechen folgend, siedelten sich zahlreiche mennonitische Familien in Krefeld an, unter ihnen auch die Familie von der Leyen, die mit ihrem Wissen über die Verarbeitung der tierischen Faser das unternehmerische Fundament des späteren Seidenbooms legte. Dieses Wissen gekoppelt an die nahezu idealen geografischen Bedingungen wie die Nähe zum Rhein und die Verfügbarkeit von Rohstoffen begünstigten die Entwicklung der Produktion. Das Leben der Weber war nicht immer einfach, oft war die ganze Familie eingebunden. Entgegen der landläufigen Vorstellung fand das Weben damals nicht in Industriehallen, sondern zu Hause an geliehenen Webstühlen statt. Einige der alten „Weberhäuser“ stehen heute unter Denkmalschutz – zu sehen beispielsweise auf der Stephanstraße, Ecke Wiedenhofstraße. Im Gedenken an diese ausgestorbene Zunft wurde 1911 das Ponzelar-Denkmal errichtet. Das Leben war hart, überall lauerten Krankheiten und Gefahren. Weil das Wasser keimbedingt die ungesündeste Flüssigkeit war, wurden Bier und Wein getrunken. Zwischenzeitig gab es in der Seidenstadt über 60 kleine und kleinste Brauhäuser, zu denen die Weber nach Feierabend aufbrachen, um den Lohn entweder gleich dort zu versaufen oder das Bier in Henkelkannen mit nach Hause zu bringen. Weil es alkoholbedingt zu immer mehr Arbeitsunfällen kam, wurde in der Folge ein Schnapsverbot während der Arbeitszeit erlassen. Bier und Wein blieben davon unberührt.

Die wichtigsten Abnehmer der Krefelder Seide waren in diesen Tage Adel und Klerus. Das Geschmeide vom Niederrhein genoss Weltruhm. Nach der Französischen Revolution schmückte sich selbst Napoleon Bonaparte mit handgemachten Textilien aus Krefeld. Obwohl die Stadt viele Herrschaftswechsel durchlebte, mal Oranien, dann den Preußen und letztlich auch den Franzosen zugehörig war, prosperierte die Seidenindustrie stetig. Ihren Höhepunkt fand sie im 19. Jahrhundert, als die rasche Industrialisierung die Produktion exponentiell wachsen ließ und den Export weit über die Landesgrenzen hinaus möglich machte. Die Seidenprodukte wurden in den Modehäusern von Paris, New York und London hochgeschätzt und trugen maßgeblich zum Ruf der Krefelder Seidenmanufakturen bei. Darüber hinaus beflügelte die Industrialisierung nicht nur die Produktion, sondern auch die Kreativität. Die Krefelder Seidenmuster waren berühmt für ihre Ästhetik und Originalität. Die Seidenhersteller experimentierten mit neuen Drucktechniken und Designs, die das Interesse der Modeindustrie weckten und die Seidenfabrikanten zu Trendsettern machten.

Während es die Krefelder Seidenindustrie nach der Abschaffung des Adels und der Abkehr der Kirche von teurem Geschmeide noch geschafft hatte, andere Zielgruppen zu erschließen und sich den Gegebenheiten des Marktes anzupassen, bildeten Kriege und Globalisierung letztlich den Anfang des Endes. Die zunehmende Konkurrenz aus asiatischen Ländern, insbesondere aus China, wo die Seidenproduktion traditionell verwurzelt ist, führte zu einem Preisverfall des Seidengewebes. Die Krefelder Fabriken konnten mit den niedrigen Produktionskosten der asiatischen Konkurrenten nicht mithalten und gerieten immer mehr in wirtschaftliche Bedrängnis. Trotz der Herausforderungen gibt es immer noch einige Unternehmen, die sich in Krefeld der Seidenproduktion verschrieben haben und versuchen, das Erbe der Industrie zu bewahren. Sie setzen auf hochwertige Handarbeit und Kreativität, um sich von der Massenproduktion abzuheben. Doch genauso wie das Ruhrgebiet nach der Abkehr von der Kohleförderung einen bis heute anhaltenden Strukturwandel durchleben musste, war Krefeld gezwungen, sich neu zu erfinden. In den Köpfen und Herzen der Krefelder bleibt die Seidenstadt Teil der eigenen Identität. Ob beim Fußball, Handball oder eben in der YAYLA Arena beim Eishockey, wo sie aus bis zu 8000 Kehlen besungen wird.