Die Geburt eines Kindes gilt nach landläufiger Mythologie als der Höhepunkt der Liebe: Mutterglück und Vaterfreude, die kleine Familie, in der das süße Baby heranwächst und die Eltern einander in inniger Verbundenheit beständig zugetan sind. Die Realität sieht oft anders aus.

Viel wäre schon gewonnen, wenn sich Paare mit dem Gedanken anfreunden könnten, unvollkommene Eltern unvollkommener Kinder zu sein. Hier in der realen Welt sehen sich frischgebackene Eltern nämlich vor die Bewältigung so vieler Aufgaben gestellt, dass ihnen schon bald der Kopf schwirrt. Erschöpfung, Selbstzweifel und das Gefühl, der Elternrolle nicht gewachsen zu sein, Ärger über die ungerechte Aufteilung der Hausarbeit, finanzielle Sorgen, Zukunftsangst — die Liste der Konfliktpotentiale ist lang. Wenn aus Frauen Mütter und aus Männern Väter werden, ändert sich fast alles: Man spricht, isst, schläft weniger und streitet mehr miteinander. Wie sich eine Paarbeziehung entwickelt, wenn ein Kind dazu kommt, hängt stark davon ab, wie gut die Partner es vorher verstanden haben, Einvernehmen herzustellen. Kinder sind nicht das Problem — aber durch sie werden häufig bereits vorhandene Probleme aufgedeckt und verschärft.

Ratsam ist, bereits vor der Realisierung des Kinderwunsches die eigene Beziehung auf Störstellen und schwelende Konflikte hin zu untersuchen und auch nach der Ankunft des neuen Erdenbürgers den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Durch Reden und Zuhören, gekoppelt an die aufrichtige Bereitschaft, Nachlässigkeiten und Verwirrung zuzugeben — über Geld und Sex, über offene Zahnpastatuben und über die Frage, wie man vor Gästen miteinander redet - gewinnt man ein besseres Verständnis füreinander. Ein Bewusstsein für die eigene Dünnhäutigkeit, Humor, Nachsicht und gegenseitiger Respekt sind die beste Basis für ein beständiges Familienglück. Denn: das Herzstück einer Familie ist das Paar! Das vergisst man leicht im Drunter und Drüber des Familienlebens, über die exzentrischen Schlafgewohnheiten der ersten Monate und der brüllenden Unerbittlichkeit, mit der „der süße Schatz“ Tag und Nacht über die Erfüllung seiner Wünsche wacht.

Ihre Anja Funkel