Der Wunsch nach Schönheit ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Schon unsere Ur-Vorfahren haben mit Erde, Kreide und Asche an der eigenen Schönheit gefeilt, neue Trends gesetzt und Ideale definiert. Über die Jahrhunderte hat Schönheit einen Bedeutungswandel erlebt. Während sie früher vornehmlich als von Gott gegeben betrachtet und ihr lediglich durch Feinschliff auf die Sprünge geholfen wurde, ist gutes Aussehen heute ein frei gestaltbares Ziel im Rahmen der stetig voranschreitenden Selbstoptimierung. Medien, vor allem soziale Medien, wirken dabei wie ein Katalysator, der nicht nur den Wunsch nach Schönheit verstärkt, sondern überdies zu einer Entfremdung von der natürlichen Schönheit führt. Die Konsequenzen sind nicht nur in der Beauty-Industrie spürbar.

Schönheit als Kennzeichen der Leistungsgesellschaft
Schönheit zahlt sich aus. Gutaussehende Menschen, das zeigen Studien, halten wir automatisch für klüger, ehrgeiziger, gewissenhafter und produktiver. Diese Zuschreibung guter Eigenschaften geschieht unbewusst, denn Schönheit liegt gerade nicht im Auge des Betrachters: Jedem Auge gefällt ein symmetrisches Gesicht. Die Vorstellung, dass der Körper ein Produkt ist, das für den kapitalistischen Kreislauf perfektioniert werden muss, um die Chancen auf dem Arbeits- und Liebesmarkt (Stichwort Tinder) zu steigern, wird immer weiter auf die Spitze getrieben. Das zeigt sich unter anderem auf dem Markt für ästhetische Chirurgie. Er boomt.

Etwa 45.000 Menschen haben sich hierzulande im vergangenen Jahr freiwillig unters Messer gelegt, Tendenz steigend. Die beliebteste Schönheitsoperation war bei Frauen laut International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS) die Brustvergrößerung, gefolgt von der Augenlidstraffung und der Fettabsaugung. Bei den Männern führt das Ranking die Augenlidstraffung an, auf Platz zwei liegt die Brustverkleinerung, auf Platz drei die Intimchirurgie, sprich: Penisvergrößerung. Die Brasilianer und Amerikaner lassen zwar noch deutlich häufiger vom Schönheitschirurgen das Beste aus sich herausholen, aber die Deutschen holen auf. Magnus Noah, Präsident der Vereinigung der deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgie, sagt, dass Schönheitsoperationen in Deutschland ähnlich wie in Amerika zunehmend zur Selbstverständlichkeit würden.

Die sozialen Medien prägen ein falsches Schönheitsideal bei jungen Menschen
Junge Menschen wollen dabei immer häufiger so aussehen wie ihr mit Software bearbeitetes Selfie. Es kämen zunehmend junge Frauen mit einem bearbeiteten Selfie als Vorbild in seine Praxis, erklärte der Schönheitschirurg Dominik von Lukowicz bei der Frühjahrsakademie der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC) in München. „Der Selfieboom ist gefährlich", sagt er. Jugendliche blendeten oft die möglichen Gefahren eines Eingriffs aus. „Virtuelle Schönheit ist nicht medizinische Realität." Durch die zunehmend hohe Qualität der Bildbearbeitungsprogramme erstellten sich viele junge Menschen Ideale, die jeder seriöse Schönheitschirurg ablehnen müsse.

Für die Heilpraktikerin für Psychotherapie, Anja Funkel, sind Auswüchse wie diese das i-Tüpfelchen auf einer Entwicklung, die nach ihrem Dafürhalten schon lange fehlgeleitet ist. „Bereits vor Jahrzehnten haben die Medien angefangen, ein Menschenbild zu kreieren, das sich immer mehr von der Realität verabschiedet. Es ist ein interessantes Phänomen, dass gerade in den sozialen Medien, also in jenen Medien, die nicht von Kreativ- oder Programmdirektoren orchestriert werden, ein noch schnelleres Voranschreiten dieser Entwicklung zu erkennen ist“, erklärt sie und verweist auf die Motive: „Der Wunsch nach Schönheit speist sich immer aus einem Gefühl der Minderwertigkeit und dem Verlangen, dazu zu gehören. Je mehr das Schönheitsideal verkünstelt wird, desto größer werden die Probleme.“

Ein gesamtgesellschaftliches Umdenken muss her
Doch was tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken? Auch darauf hat Funkel eine Antwort: „Es gibt immer wieder Aktionen und Zusammenschlüsse, die versuchen, dieser Pervertierung des Schönheitsideals einen Pol entgegenzusetzen, ob in Frauenzeitschriften oder in den sozialen Medien. Das Problem ist also bekannt, es fehlt allerdings die kritische Masse, um wirklich einen Veränderungsprozess anzustoßen. In Wahrheit müssen die Veränderungen noch tiefer greifen. Wir müssen unseren gesamten Wertekanon überdenken und zur natürlichen Form des Mensch-seins zurückfinden. Der Schönheitswahn ist nur eine Facette einer Gesellschaft, die sich immer mehr nicht zu erreichende Ideale aufbürdet – im Berufsleben, der Beziehung und eben auch mit Blick auf Schönheit. Solange uns Medien und soziale Medien suggerieren, das wäre die Norm, bleibt die Entwicklung fehlgeleitet.“

Letztlich scheint also der Schönheitswahn keine eigenständige Diagnose, sondern lediglich ein Symptom der bis zum Chirurgen reichenden Selbstoptimierung des postmodernen Zeitalters zu sein. Schönheit soll und darf erstrebenswert bleiben, genauso wie beruflicher oder sportlicher Erfolg. Es gilt, das Maß neu zu definieren und zurück zur Realität zu finden. Ein Prozess, an dem jeder mitwirken muss, damit ein gesamtgesellschaftliches Umdenken möglich wird.