Es ist ein bisschen so wie beim Auto: Unser Wagen rollt monatelang scheinbar problemlos. Aber spätestens beim Auswuchten im Zuge des saisonalen Reifenwechsels erkennt der Kfz-Profi, dass alles doch nicht so rund läuft: Die Reifen sind einseitig abgefahren. Diese Dysbalance führt zu erhöhtem Spritverbrauch und einem Sicherheitsrisiko. Auch der Bewegungsapparat vieler Menschen ist oftmals aus dem Gleichgewicht – sei es durch angeborene Haltungsschäden oder orthopädische Probleme. Das innerhalb kurzer Zeit zu erkennen, ist nun mit einem innovativen Tool möglich: SmartVia, entwickelt mit dem Knowhow des Gesundheitszentrums salvea. Ein Selbsttest. 

Wir sind verabredet mit Jan Gröppel, Physiotherapeut und Mitarbeiter des Bereichs Innovation und Digitalisierung bei salvea, der zusammen mit seiner Kollegin Dana Glöß an SmartVia mitgearbeitet hat. Die Teststrecke ist ein ganz normaler Gang im salvea an der Westparkstraße. In der Hand hält der Physiotherapeut einen Klett-Gurt und einen kleinen, leichten Sensor. Der Gurt wird um meine Hüfte gelegt, und der Sensor daran rückseitig befestigt. Jan Gröppel kann über die App SmartVia, die auf einem Smartphone installiert ist, auf meine Daten inklusive des Zusatzes „Beschwerden im Halswirbelsäulenbereich“ zugreifen. Sämtliche Daten werden natürlich vertraulich behandelt. Er wählt nun den Sensor aus und gibt die Strecke ein: 15 Meter hin und zurück. Ich stehe drei Sekunden ruhig und gehe auf Anweisung des Therapeuten ohne Unterbrechung bis zum Ende des Ganges, drehe mich um und gehe zurück. Hier bleibe ich wieder drei Sekunden stehen. Während des Laufens geht Jan Gröppel hinter mir und beobachtet meinen Gang. Auffälligkeiten gibt er in die App ein. Das können ein ungleichmäßiger Geh-Rhythmus, falsches Abrollen der Füße oder eine ungewöhnliche Fußstellung sein. Auch das Schwingen der Arme hat der Therapeut im Blick. Bei mir scheint alles unauffällig.

Nun wird der Gurt abgenommen, und die vom Sensor erfassten Daten werden auf einen Server übertragen. Ein paar Minuten später liegen die Ergebnisse vor. Ausgewertet wurden Gehparameter wie Symmetrie, Regularität und Gang-Harmonie sowie die Beckendynamik. Ergänzt durch die therapeutische Beobachtung, kann sich der Therapeut innerhalb kürzester Zeit einen Überblick über eventuelle Dysbalancen verschaffen. Meine Symmetrie, also das Verhältnis zwischen dem linken und dem rechten Bein beim Gehen, liegt bei 91 Prozent. „Der Wert liegt im guten Normbereich“, sagt Jan Gröppel und fügt hinzu: „Kein menschliches Wesen wird 100 Prozent erreichen. Unser Gangbild wird geprägt durch falsche Schuhe, aber auch durch vergangene oder akute Verletzungen wie zum Beispiel eine Verstauchung.“

Beim nächsten Analysepunkt, der Regularität, liege ich bei 90 Prozent. Dabei werden die Schritte untereinander verglichen. Ich habe 36 gemacht. Im Durchschnitt heißt das: Von 100 Schritten mache ich 90 gleiche. Das liegt ebenfalls in der Norm. Der Physiotherapeut ergänzt: „Nicht so gut wäre eine niedrige Symmetrie bei hoher Regularität. Das würde nämlich bedeuten, dass man einen Fehler beim Gehen regelmäßig wiederholt. Nun der erste kleine Dämpfer: Meine Gang-Harmonie, die die Bewegungsfrequenz der Beine in Relation zu den Armen setzt, liegt mit einem Wert von 1.13 unter der Norm. Eigentlich müsste ich zwischen 3 und 7 liegen. Der Therapeut beruhigt mich. Es könne auch an der ungewohnten Situation, also dem Spagat zwischen Interview und Analyse, liegen, die meinen Bewegungsablauf gehemmt habe. Bei einer laufenden Therapie würde die Ganganalyse ohnehin mehrfach wiederholt, um Entwicklungen des Gangbildes zu sehen. Dabei würden sich die Werte eventuell relativieren. Auch meine Schrittanzahl wird bewertet. Für insgesamt 30 Meter habe ich 36 Schritte benötigt. Jan Gröppel sieht außerdem, dass ich recht schnell unterwegs war und für den Rückweg eine Sekunde mehr benötigt habe.

Im Diagramm zur Beckendynamik, für das der Sensor die Bewegung meiner Hüfte gemessen hat, erkennt der Physiotherapeut eine zu starke Ausladung nach hinten und eine zu kleine nach links – mögliche Anzeichen für eine muskuläre Instabilität oder Verkürzung. „Das würde ich mir im Therapieprozess genauer anschauen, prüfen, ob es zu meiner Befund-Hypothese passt und daraufhin einen entsprechenden Behandlungsplan erarbeiten“, erklärt Jan Gröppel, der betont, dass SmartVia zwar kein diagnostisches, aber ein sinnvolles unterstützendes Instrument ist, um die Therapie schneller und effektiver zu gestalten. Warum? „Nahezu jedes gesundheitliche Problem wirkt sich auf den Bewegungsapparat aus. Auch wenn ich beispielsweise ein Problem am Ellenbogen habe, beeinflusst das meinen Gang. Und weil SmartVia medizinisch unbedenklich ist, kann es bei fast jedem Patienten eingesetzt werden, selbst wenn er Gehhilfen benötigt oder eine Orthese trägt.“ Zudem verdeutlichen die Ergebnisse dem Patienten anschaulich, wo sein Problem liegt. Das erhöht wiederum dessen Verständnis für die folgenden Therapien, so Gröppel weiter.

Demnächst wird SmartVia Therapeuten und Ärzten dabei helfen, Beobachtungen bei ihren Patienten zu untermauern oder zu revidieren. Jan Gröppel erläutert das: „Wenn ich einen Menschen laufen sehe, kann ich nur subjektiv beschreiben, was ich sehe und muss alles akribisch dokumentieren, damit ich beim nächsten Mal noch weiß, was ich beim ersten Mal gesehen habe. SmartVia dagegen erfasst dauerhaft objektive Daten, die ich im Verlauf der Therapie miteinander vergleichen kann. Außerdem können Kollegen, die über die notwendigen Berechtigungen verfügen, auf die Informationen zugreifen und müssen sich nicht komplett neu eindenken, falls der behandelnde Therapeut einmal Urlaub hat oder krank ist.“ In naher Zukunft werden weitere Analysemöglichkeiten ergänzt. Die Gang-Analyse bei salvea-Patienten ist nur der erste Schritt von SmartVia auf einem klugen Weg zu Therapie und Genesung. 

SmartVia: ein Kooperationsprojekt
SmartVia wurde im November 2017 bei der weltweit größten Gesundheitsfachmesse Medica in Düsseldorf vorgestellt. Während salvea den therapeutischen Input liefert, ist die Münsteraner Firma Humotion, ein Entwickler für mobile Monitoring-Systeme, für die technische Umsetzung zuständig. Das Unternehmen hat langjährige Erfahrungen in der Bewegungsmessung im Sportbereich. Zurzeit wird SmartVia an Pilot-Standorten in Krefeld, Kleve und Meerbusch fit gemacht. Sobald die Zulassung von SmartVia als medizinisches Produkt in den nächsten Wochen abgeschlossen ist, wird das Tool im Rahmen des Therapieprogramms von salvea eingesetzt. Darüber hinaus zeigen auch Ärzte bereits Interesse an SmartVia.