Emilie lacht, als sie auf den großen Esel im Kinderzimmer zuläuft, ihre Wangen leuchten rosa und die Augen hinter der kleinen grünen Brille hüpfen aufgeregt auf und ab. „Mama Sonja, guck mal, ein Esel“ , ruft die Dreijährige und strahlt von einem Ohr zum anderen. Auf den ersten Blick scheint die Szene im Kinderzimmer eine ganz normale Alltagssituation zwischen Mutter und Tochter zu sein, erst auf Nachfrage wird sich herausstellen: So ganz normal ist die Konstellation nicht, denn Emilie ist nicht Sonjas leibliche Tochter, sie lebt nur temporär im großen Wohnhaus bei „Mama Sonja“ und ihrer Familie. Die Krefelderin arbeitet als Familiäre BereitschaftsBetreuung des Kinderheims Kastanienhof.

„Es gibt Lebenssituationen, in denen die Versorgung des Kindes bei der leiblichen Familie nicht mehr gewährleistet ist“, erklärt Heimleiter Jens Lüdert. „Gründe können Suchtprobleme oder psychische Erkrankungen der Eltern sein, aber auch Obdachlosigkeit oder Misshandlung. Dann muss das Jugendamt schnell reagieren und nimmt Kinder in Obhut.“ Bis die Zukunftsperspektive der Nachkömmlinge geklärt ist, werden diese im Idealfall in Familiären Bereitschaftsfamilien untergebracht. Seit sieben Jahren bietet der Kastanienhof nun die Bereitschaftspflege an und kann inzwischen auf fünf Mitarbeiter im Fachdienst und circa 30 FBB-Familien zurückgreifen. „Wir erleben täglich, dass der Bedarf, Kinder in Notsituationen in einen geschützten familiären Rahmen unterzubringen, steigt“, erklärt Sozialpädagogin Erika Gretschmann. „Liegt der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vor, reagiert das Jugendamt inzwischen sofort.“ Wurden die Unterdreijährigen früher in Säuglings- und Kleinkindgruppen im Schichtdienst untergebracht, bekommt ein in Obhut genommenes Kind heute im Kastanienhof ausschließlich in Bereitschaftspflegefamilien ein liebevolles Zuhause auf Zeit. „Die ersten drei Jahre des Lebens sind die Jahre, die uns am meisten im Hinblick auf unsere Lebensplanung prägen“ , beschreibt Lüdert. „In der Bereitschaftspflegefamilie bekommen die Kleinen die Liebe, die sie für eine altersgemäße Entwicklung benötigen.“

Auch die kleine Emilie ist in der Zeit, in der sie bei Sonjas Familie lebt, durch die Liebe, mit der sie hier versorgt wird, unverkennbar aufgeblüht: Konnte die damals Eineinhalbjährige weder sprechen, noch richtig trinken oder essen, hat sie sich inzwischen in ein aufgewecktes Mädchen verwandelt, das die Herzen im Sturm erobert. „Als ich damals gemeinsam mit Bettina von Bihl vom Kastanienhof Emilie aus dem Krankenhaus abgeholt habe, war ich sprachlos“ , erinnert sich die Bereitschaftspflegemutter. „Vor mir lag eine leere Hülle. Ein Kind, das auf nichts reagierte und einfach nur funktionierte, um am Leben zu bleiben.“ Mit Einfühlungsvermögen und Geduld haben Sonja und ihre Familie die kleine Emilie Schritt für Schritt in das aktive Leben begleitet und das Mädchen inzwischen auf einen altersgerechten Entwicklungsstand gebracht.  Unterstützt wird Sonja dabei nicht nur von ihren beiden Kindern und ihrem Ehemann, sondern stets von den geschulten Fachkräften des Kinderheimes. „Ich habe unsere zwei eigenen Kinder großgezogen, dennoch habe ich mit Emilie Situationen erlebt, die mir fremd waren“ , sagt die 48-Jährige. Als Emilie in die Familie kam, trank sie nicht. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und Bettina von Bihl fand die FBBMutter heraus, dass das Mädchen ausschließlich auf Trinkpäckchen reagierte. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich Trinkpäckchen ausgekocht habe, um sie dann mit Wasser zu befüllen“ , erinnert sich Sonja an die Entwöhnung. Wer FBB-Mutter oder Vater werden möchte, muss keine sozialpädagogische Ausbildung haben, umso wichtiger sind der enge Kontakt zum Fachpersonal des Kastanienhofs und die Teilnahme an Fortbildungen und Gesprächskreisen im Haus. „Hier geht es um fachliche Fragen, zum Beispiel den Umgang mit Besuchskontakten der leiblichen Eltern, aber auch um den Austausch der FBB-Familien“ , erläutert Bettina von Bihl. „Im Gesprächskreis merken die Bereitschaftspflegeeltern, dass nicht nur ihr Kind Probleme mit dem Schlafen oder der Nahrungsaufnahme hat, sondern, dass das in unseren FBB-Familien ganz alltägliche Probleme sind.“ Auch die Ablösung und die Rückführung der aufgenommenen Säuglinge in die leibliche Familie oder in eine Dauerpflege sind ein großes Thema bei den regelmäßigen Treffen, denn eine Unterbringung in der Familiären Bereitschaftsbetreuung erfolgt immer nur auf Zeit. Gemeinsam mit der Stadt Krefeld hat der Kastanienhof ein Rückführungsmanagement entwickelt. „Dabei bieten wir eine Klärung der weiteren Perspektive der Kinder an und begleiten die Kinder sowie die FBB-Familien bei diesem Übergang. Die Fachkräfte des Rückführungsmanagements prüfen auch, ob eine Rückführung der Kinder in das Herkunftssystem möglich ist. Uns ist es wichtig, dass für unsere Kinder zeitnah eine dauerhafte Perspektive gefunden wird“, so Jens Lüdert.

Auch Emilie wird Sonjas Familie bald verlassen: Eine Unterbringung bei der leiblichen Familie, so hat es das Gericht entschieden, wird nicht mehr möglich sein, Emilie kommt deshalb bald in eine Dauerpflegefamilie. Auf die Frage, ob der Abschied „Mama Sonja“ schwerfallen wird, wird ihr Gesicht ganz weich. „Natürlich werden wir trauern. Das wichtigste ist aber, dass wir wissen, dass die Kleine in Zukunft gut untergebracht sein wird“ , sagt Sonja. „Ich bin dankbar dafür, dass wir Emilie ein Stück ihres Lebens begleiten und sie mit unserer Liebe für das Leben prägen konnten. Das ist das, was mich überzeugt, auch nach Emilie ein neues Kind auf Zeit in unsere Familie aufzunehmen.“ 

Der Kastanienhof sucht weitere Familien, die sich dieser Aufgabe gewachsen fühlen. Weitere Informationen über die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen finden Sie im Internet: www.kinderheim-kastanienhof.de 

Auch persönlich werden Ihre Fragen gerne beantwortet: Kastanienhof, Kaiserstraße 103a, 47800 Krefeld. Tel. 02151 507 31 0