Makellose Körper wie modelliert, perfekte Proportionen, Eleganz und Kraft in jeder Bewegung – wer ins Ballett geht, weiß natürlich, dass ihn Musikgenuss und Anmut erwarten. Dennoch stockt einem mitunter der Atem, und man traut seinen Augen kaum: Wenn ein Sprung, eine Hebung oder eine Drehung aussieht, als wäre die Schwerkraft außer Kraft gesetzt, als müssten an den Tänzern unsichtbare Fäden befestigt sein, die sie in die Höhe ziehen und halten. Es sieht so mühelos aus, beinahe wie Fliegen oder Schweben. Und immer passen die Bewegungen genau zur Musik, zu der sie choreographiert wurden; sie interpretieren die Klänge, verschaffen der Handlung Ausdruck, fließen mit der Melodie, pulsieren mit dem Rhythmus, greifen Raum, verbildlichen und erschaffen Stimmungen wie Romantik, Freude, Leid oder Zorn. Das Bewegungsrepertoire des klassischen und auch des modernen Balletts ist ein kompliziertes System – und wohl dem, der es kennt und zu würdigen weiß. Doch auch für jeden Laien ist eine Ballettvorführung ein Genuss für alle Sinne. Der Begeisterung weckt - und bei manchem tief im Inneren den Wunsch, so etwas Wunderbares auch zu können. Zwei, die es können und damit im Theater Krefeld und Mönchengladbach zusammen mit ihren Ensemblekollegen für magische Momente sorgen, sind Karine Andrei-Sutter und Raphael Peter. Wir treffen sie nach einem Probentag in Krefeld im Ballettsaal, und noch im Trainingsanzug erzählen sie uns von der Lust und manchmal auch dem Leid ihres Lebens als Balletttänzer. Bei Karine Andrei-Sutter war ein Funkenmariechen schuld. Daran, dass sie schon als kleines Mädchen wusste, dass sie nie etwas anderes machen will als tanzen. Wo sie das Funkenmariechen gesehen hat, weiß die Ballettsolistin am Theater Krefeld-Mönchengladbach nicht mehr. Sie stammt aus der Schweiz, wo es eigentlich keine Funkenmariechen gibt, auch nicht an Karneval. Karine Andrei-Sutter zwinkert, bevor sie weiter erzählt: „Seit meinem sechsten Lebensjahr habe ich dann Ballett getanzt. Und bin immer dabei geblieben.“ Ihren Eltern zuliebe machte sie nach der Schule zuerst einen Abschluss an einer Handelsschule. Doch dann zeigte sie, dass es ihr ernst war mit ihrem Traumberuf Tänzerin. Karine Andrei-Sutter schaffte, wovon viele träumen; auf ihre Ausbildung an verschiedenen Ballettschulen in der Schweiz folgten Engagements in Basel und an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. 1996 kam sie ans Theater Krefeld und Mönchengladbach, und seit 2002 ist sie Solistin. Begeistert schildert die 39-jährige Ballerina, was sie beim Tanzen fühlt: „Ich komme fast in eine Art Trance. Man vergisst alle Sorgen und Probleme. Sehen Sie, im Moment habe ich einen Schnupfen. Aber vorhin beim Training habe ich nichts davon gespürt.“

Auch für ihren Kollegen Raphael Peter ist Tanzen der absolute Traumberuf. Der ebenfalls in der Schweiz geborene 24-Jährige hatte als Kind zunächst Kunstturnen ausprobiert. Doch mit zehn Jahren zog es ihn zum Tanz. Seine Eltern waren sofort einverstanden, als Raphael Peter zwei Jahre später auf die Kunst- und Sportschule in Zürich wechseln wollte. Sie spürten, mit wie viel Ehrgeiz und Leidenschaft ihr Sohn tanzt. Zusätzlich zu seiner Tanzausbildung, unter anderem am Opernhaus Zürich, studierte er auch Tanz an der Hochschule für Musik und Theater München. Von dort kam er 2012 ans Theater Krefeld und Mönchengladbach. Ihm liegen die bodenständigen, tänzerisch-erzählenden Stücke des Hauschoreographen Robert North, beispielsweise „Lachen und Weinen“ zu Musik von Chopin und Schubert, „Carmina Burana“ oder die neueste Produktion „Tangonacht plus…“. Dabei auf der Bühne zu tanzen und sein Bestes zu geben, sagt Raphael Peter, sei für ihn „das Schönste“ , und ernst fügt er hinzu: „Ich versuche immer Perfektion zu erreichen!“

Möglich ist das nur mit eiserner Disziplin. Raphael Peter witzelt zwar über den Tänzerberuf, „wir dürfen den ganzen Tag im Trainingsanzug herumlaufen.“ Aber ohne Willenskraft, Fleiß, eine belastbare körperliche Konstitution und die Bereitschaft, an fünf bis sechs Tagen in der Woche Stunden um Stunden zu trainieren und zu proben, geht es nicht. Eisern und unerbittlich arbeiten sich die Tänzerinnen und Tänzer täglich durch die immer wiederkehrenden Übungen oder Exercises, zuerst an der Stange, dann im Raum – immer in der gleichen Reihenfolge, immer präzise und anmutig, immer genau 75 Minuten lang, wie Karine Andrei-Sutter erzählt. Im Theater Krefeld-Mönchengladbach sind die Tänzer in der glücklichen Situation, dass der Pianist André Parfenov, der als Repetitor das Training live begleitet, sein Spiel ständig variiert und die Tänzerinnen und Tänzer mit seinem abwechslungsreichen Spiel oft überrascht und unterhält. „Musikalität ist natürlich eine wichtige Voraussetzung für einen Tänzer“ betont Raphael Peter, der privat auch selbst Klavier spielt. Dazu kommen Verständnis für die Stücke und deren tänzerische Umsetzung, Einfühlungsvermögen, darstellerische Fähigkeiten, Geduld und eine hohe Frustrationstoleranz. Denn die begehrten Titelpartien können immer nur wenige tanzen. Doch auch für die anderen im Ensemble bedeuten die stundenlangen Proben, die dem täglichen Training folgen, Hochleistungssport, der riskant für die Gelenke, Sehnen und Muskeln sein kann. Karine Andrei-Sutter und Raphael Peter beugen vor, indem sie jeden Tag im Ballettsaal damit begin nen, ihre Muskulatur ausgiebig zu dehnen, um elastischer und biegsamer zu werden. Oft ist der Traumjob Tänzer eben auch ein Knochenjob, in dem Konkurrenzdruck und immer die Sorge herrschen, irgendwann nicht mehr jung und stark genug für die extremen Belastungen beim Ballett zu sein. „Reich wird man auch nicht als Tänzer – in der Regel jedenfalls nicht“, schränkt Raphael Peter den Traumberuf weiter ein, um dann lächelnd hinzuzufügen: „Aber trotzdem, diese Erfüllung, die einem das Tanzen gibt, die kann man nicht mit Geld bezahlen!“ 

Wie machtvoll der Tanz auf den Ausübenden wirkt, beschrieb schon 1924 der deutsche Schriftsteller und Tanzkritiker John Schikowski: „Je mehr der Leib des Kulturmenschen in allen seinen Teilen von angeborener und anerzogener Lähmung erlöst wird, desto unbehinderter kann dieses  Gefühl sich auswirken, und es findet seine höchste Gipfelung im Tanz, der in seinen Uranfängen nichts anderes war, als die Fähigkeit, seelischem  Erleben durch rhythmische Körperbewegung Ausdruck zu verleihen.“ Und auch das Publikum in Krefeld und Mönchengladbach weiß zu schätzen, wie Raphael Peter, Karine Andrei-Sutter und ihre 18 Kolleginnen und Kollegen vom Ballettensemble sich auf der Bühne von ihrer „Lähmung erlösen“. Die eingängigen Stücke des Choreographen Robert North sind immer lange im Voraus ausverkauft. 

Theater Krefeld und Mönchengladbach, Theaterplatz 3, 47798 Krefeld, Tel. 02151/805-0