Mehrmals war Ute Hoffmann seit Beginn des Jahres schon an der südtürkischen Grenze. In Gebieten, in denen Hunderttausende Flüchtlinge vor dem Krieg in Syrien und vor dem Terror des IS in riesigen Lagern notdürftig untergebracht leben. Ute Hoffmann könnte sich an den Anblick von Not und Krankheit gewöhnt haben. Dennoch bricht es aus der Groß- und Außenhandelskauffrau aus Anrath heraus: „Da liegen Kinder und Erwachsene und müssen wochenlang unnötig leiden. Oder sie sterben sogar. Dabei haben sie teilweise ganz banale Krankheiten, die man leicht behandeln könnte. Aber wenn es an allem fehlt, ist ihre Lage hoffnungslos. Das macht mich wütend!“ Weil es in den Flüchtlingsgebieten an medizinischer Versorgung und Medikamenten fehlt, war Ute Hoffmann dort. Im Auftrag des Medikamentenhilfswerks action medeor in Tönisvorst organisiert die 42-Jährige sowohl vom Heimatstandort aus als auch in verschiedenen Stationen im Nahen Osten die Verteilung von Hilfslieferungen: Tonnenweise Schmerzmittel, Verband- und Nahtmaterial sowie Antibiotika.
Die Versorgung von Flüchtlingen aus Syrien und dem Nordirak ist eine Mammutaufgabe. Pressesprecherin Susanne Haacker konkretisiert: „Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs hat action medeor Medikamente und medizinisches Equipment von insgesamt über 2,5 Millionen Euro und einem Gesamtgewicht von 238 Tonnen an verschiedene Krankenhäuser, Gesundheitsstationen und Flüchtlingslager in die Krisenregion geschickt.“ Diese Lieferungen sind größtenteils Spenden, die action medeor mit vielfältigen Maßnahmen sammelt. Beim diesjährigen Tönisvorster Apfelblütenlauf im April beispielsweise gingen 2,50 Euro der Teilnahmegebühr automatisch an action medeor; so kamen 4.515,65 Euro Spendengelder speziell für die Flüchtlingshilfe im Nordirak zusammen.
Insgesamt hat das Medikamentenhilfswerk action medeor seit seiner Gründung 1964 in Tönisvorst mehr als 127 Millionen Euro gesammelt; in 140 Länder wurden fast 20.000 Tonnen Medikamente und medizinische Hilfsmittel verschickt. Susanne Haacker, die schon seit 14 Jahren für action medeor die Pressearbeit macht, erzählt: „Anfangs sammelten engagierte Bürger aus dem Krefelder und Vorster Umfeld Ärztemuster. Dann kam die konkrete Frage: ‚Können wir nicht auch Medikamente gegen Malaria oder Wurmerkrankungen bekommen?‘ Dr. Ernst Bökels aus Vorst stellte eine Liste mit den wichtigsten Arzneimitteln für die Patienten in den Entwicklungsländern zusammen. Mit Ärztemustern ließ sich der Bedarf nicht adäquat decken, deshalb ließ Dr. Bökels die Medikamente seit 1967 als Nachahmerpräparate, so genannte Generika, kostengünstig produzieren.“ Dass daraus im Laufe der Jahrzehnte Europas größtes Medikamentenhilfswerk werden würde, konnten die Gründer nicht ahnen. Aus der ehrenamtlich organisierten Hilfe ist im Laufe eines halben Jahrhunderts ein Unternehmen mit 61 hauptamtlichen und weiterhin zig ehrenamtlichen Mitarbeitern mit lokalen Partnerorganisationen in 53 Projekten in der Welt geworden. „Wir helfen auch bei Naturkatastrophen, zum Beispiel in Pakistan. Dort wurden seit 2010 mehrfach große Landstriche überschwemmt, 2014 wurde der Südosten des Landes von einer Dürre getroffen. Ende 2013 wütete auf den Philippinen der Taifun Haiyan. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Unterstützung bei humanitären Krisen wie den Vertreibungen und der Hungersnot im Südsudan, auch seit 2013. Und natürlich die Ebola-Epidemie in Westafrika. Das sind derzeit unsere akuten Hilfsprojekte“ , zählt Susanne Haacker auf. Doch auch das ist noch nicht die ganze Arbeit von action medeor. Neben der schnellen Versorgung im Katastrophenfall setzt das Unternehmen auf „nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe“ und fördert die Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern. Susanne Haacker erläutert: „In vielen armen Ländern ist die Gesundheitsversorgung sehr schlecht. Jedes Jahr sterben zum Beispiel fast 600.000 Menschen an Malaria, obwohl die Medikamente zur Behandlung nur einen Euro kosten.“ Gemeinsam mit lokalen Partnern führt action medeor Gesundheitsprojekte in den Bereichen Prävention, Diagnostik und Therapie durch. Die Projekte kommen vor allem besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppen wie Schwangeren, Müttern, Kindern und gesellschaftlichen Minderheiten zugute. In Tansania wurde 2004 eine Niederlassung von action medeor errichtet, eine weitere soll im Sommer in Malawi eröffnet werden. Außerdem unterstützt action medeor die Ausstattung pharmazeutischer Einrichtungen, beispielsweise an Universitäten. An der Muhimbili University im tansanischen Dar Es Salaam wurde mit Hilfe von action medeor ein Sirup für die HIV-Therapie von Kindern entwickelt. Mit der Kölner TV-Prominenten Anke Engelke konnte action medeor eine Botschafterin gewinnen, die sich vor allem für an Malaria erkrankte Kinder engagiert und dafür schon mehrfach nach Afrika reiste.
Die Arbeit, die Ute Hoffmann und ihre Kolleginnen und Kollegen in Vorst leisten, ist weniger öffentlichkeitswirksam, aber genauso wichtig: Sie helfen ganz konkret, ordern, sortieren, verpacken, verteilen, verwalten, organisieren. Ute Hoffmann macht das seit inzwischen 23 Jahren, und sie ist zu einer Art „Expertin“ für den Nahen Osten geworden. Ein durchaus riskantes Gebiet. Als kürzlich auch in den umkämpften Nordirak zehn Tonnen Medikamente geliefert wurden, ist Ute Hoffmann nicht mitgereist, das sei „sehr gefährlich“. Schon auf türkischem Gebiet habe sie sich unwohl gefühlt, erzählt Ute Hoffmann: „Wir waren nur sieben Kilometer von Kobane entfernt. Ich war nervös, da waren so viele Flüchtlinge, es war unübersichtlich und unruhig, so nah am Kriegsgeschehen.“ Als bei dieser Reise in die Flüchtlingslager auch noch ein schwerer Sturm tobte und Ute Hoffmann und ihre Begleiter befürchteten, dass ihnen ihre Unterkunft um die Ohren fliege, da sei sie ins Grübeln gekommen, sagt Ute Hoffmann: „Wir mussten an die Flüchtlinge in ihren Zelten denken und wie gut wir es haben im Vergleich zu ihnen. Immerhin ein richtiges Dach über dem Kopf. Da war Schluss mit der Angst!“ Bei einer früheren Reise hatte Ute Hoffmann gesehen, wie zwei kleine Mädchen, wahrscheinlich Waisen, halbnackt bei Minusgraden von der offenen Ladefläche eines Lastwagens mit alten Matratzen kletterten und um Aufnahme in ein überfülltes Lager bettelten. Wenn man so etwas gesehen habe, dann müsse man einfach helfen, erklärt Ute Hoffmann, und: „Ich habe selbst zwei Töchter. Schon ihretwegen würde ich mich nie in Gefahr begeben. Aber die Fahrten für action medeor, die müssen sein. Das wissen auch meine Töchter, und sie sind stolz auf mich.“ Und Susanne Haacker , die Pressesprecherin, fügt hinzu: „Manchmal erscheint es vielleicht wie ein Tropfen auf den heißen Stein, was wir tun können. Aber das stimmt nicht. Jede Hilfe ist wichtig!“
Wenn auch Sie helfen möchten: Spendenkonto 9993 bei action medeor; Sparkasse Krefeld, BLZ 320 500 00; IBAN DE78 3205 0000 0000 0099 93, BIC: SPKRDE33 ; Onlinespenden: www.medeor.de Stichwort: Flüchtlinge Naher Osten