Viele Menschen treffen Entscheidungen nicht nach rationaler Abwägung, sondern nach Gefühl. Diese Bauchentscheidungen werden häufig als richtig empfunden und lassen vermuten, dass Menschen instinktiv das Richtige tun können. Aber gibt es hierfür eine Grundlage?

Erst seit kurzer Zeit ist bekannt, dass der Verdauungstrakt ein relativ eigenständiges Nervensystem aufweist, das sich in Form von zwei Nervengeflechten in der Darmwand befindet und den Magendarmtrakt vom Mund bis zum After durchzieht. Dieses enterische Nervensystem wird auch als Bauchhirn bezeichnet, da es ähnlich komplex aufgebaut ist wie das Kopfhirn. Es besteht bei uns Menschen aus rund 200 Millionen Nervenzellen. Diese Netzwerke steuern alle Verdauungsfunktionen relativ eigenständig. Obwohl das Bauchhirn selber weder denken noch bewusst entscheiden kann, hat es aber doch einen enormen Einfluss auf unsere Entscheidungen und Emotionen. Dies ist möglich, da das Bauchhirn und das Kopfhirn über Nervenverbindungen miteinander kommunizieren können. So können unsere Ernährungsweise sowie das Mikrobiom im Darm Einfluss auf höhere Hirnfunktionen ausüben. 

Neuere Erkenntnisse weisen darauf hin, dass es im Bauchhirn eine Art „Gedächtnis“ gibt. Dies kann zum Lernen von Fehlfunktionen, aber auch zum Verlernen von normalen Funktionen führen und viele funktionelle Magendarmerkrankungen erklären. Gar ein Zusammenhang zu ADHS ist postuliert. Erkrankungen, die durch eine Fehlsteuerung des Bauchhirns beziehungsweise eine gestörte Kommunikation zwischen Kopf- und Bauchhirn bedingt sind, werden als neurogastroenterologische Erkrankungen zusammengefasst. Hierzu zählen die schon im Kindesalter vorkommenden Erkrankungen wie Schließmuskelkrämpfe der Speiseröhre, des Magenpförtners und der Morbus Hirschsprung. Die typische Symptomatik sind Schluckstörungen, Erbrechen oder Darmverschluss, die durch lokalisierbare Degenerationen im Bauchhirn bedingt sind. Diffuse, über weite Strecken des Verdauungstraktes auftretende Störungen des Bauchhirns sind für Erkrankungen wie zum Beispiel bestimmte Speiseröhrenbewegungsstörungen, die Magenlähmung, Dünndarmlähmung, Verstopfung durch Stuhlentleerungsstörung oder auch Stuhlinkontinenz verantwortlich. Durch spezielle Untersuchungstechniken können diese krankhaften Funktionsstörungen häufig charakterisiert und gezielt behandelt werden.

Prof. Dr. med. Thomas Frieling, Chefarzt der Medizinischen Klinik II, Helios Klinikum Krefeld