Energisch tönen die Trommeln von den Fanbänken, lauter Applaus von mehr als 10.000 Handballfans bringt den Boden zum Beben: Bastian Roscheck hält sich einen Daumen vor das Gesicht und neigt den Kopf nach rechts und links. Es ist ein neuroathletisches Ritual, das der 25Jährige vor jedem Spiel durchführt.  Als Abwehrchef beim SC DHfK Leipzig will der Krefelder seine Mannschaft zum Sieg verhelfen. Der Profisportler ist konzentriert und fühlt sich durchweg fit: körperlich sowie psychisch.  „Ich weiß, dass mein Körper Kraft hat“ , sagt er überzeugt. Das war nicht immer so. 

Vor mehr als 20 Jahren beginnt Roscheck das Handballspielen beim DJK Oppum. Schon früh ist ihm klar: Er will nicht wie seine Freunde Astronaut oder Feuerwehrmann werden, er wird Handballprofi. Im jugendlichen Alter verlässt er das Krefelder Terrain und wechselt in die Düsseldorfer Handballwelt. „Mit 17 gab ich mein Debüt in der zweiten Bundesliga und es folgte die Einladung zum Junioren-Nationaltraining“, erinnert sich Roscheck. „Eine Knieverletzung vermasselte mir die Partie.“ Nach dem Kampf aufs Spielfeld zurück verhindern weitere Verletzungen seinen Durchbruch und er fällt in die dritte Liga zurück. Mit viel Disziplin schafft er es, Bundesliga-Trainer Christian Prokop auf sich aufmerksam zu machen, der ihn nach Leipzig holt. „Und dann habe ich mich beim ersten Saisonspiel so stark an der Schulter verletzt, dass klar war, dass ich für eine sehr lange Zeit ausfallen werde“ , sagt er.

Roscheck wirft die Verletzung zurück: Mit Anfang 20 lässt ihn seine Krankenakte an seiner Karriere und seinem Körper zweifeln. „Über einen Freund, einem Spieler bei Borussia Mönchengladbach, habe ich von Lars Lienhard erfahren. Als Trainer hat er Sportlern geholfen, bei denen andere Mediziner gescheitert sind“, sagt der Krefelder. „Für mich war Lars der letzte Versuch.“ Der Sportwissenschaftler Lars Lienhard hat sich mit seinem Partner Martin Weddemann mit einer Trainingsmethode selbstständig gemacht, die bisher in Deutschland beinahe unbekannt ist: Als Neuroathletiktrainer vertritt der 44-Jährige die Meinung, dass das Gehirn richtungweisend dafür verantwortlich ist, wie  leistungsstark und belastbar der Körper in allen Bewegungen und Fertigkeiten ist. „Spitzenleistung kann man kreieren“ , ist sich Lienhard sicher. „Wenn immer wieder Verletzungen auftreten, kann man nicht von Pech oder Zufall sprechen. Systematische Fehler in der Belastungs- und Bewegungssteuerung der Spieler sind die Ursache. So war es auch bei Basti.“ Lienhard stellt fest, dass Roschecks Aktivitätsmuster im Gehirn nicht entsprechend ausgebildet sind: Seine Muskulatur und seine Knochen wurden nach Verletzungen zwar geheilt, die neuronalen Vorgänge haben sich der Heilung aber nicht angepasst. „Nur, wenn die Software, also der Bewegungsplan im Gehirn, mit korrigiert wurde, können Leistung, Kraft und Schnelligkeit wieder abgerufen werden“ , erklärt der Sportwissenschaftler. „Erfolgt das nicht, gerät der Sportler unweigerlich in einen Teufelskreis.“

Der Amerikaner Dr. Eric Cobb, der Lehrvater Lienhards, hat mit dem  Z Health Konzept, das basierend auf Studien neuronale Vorgänge mit Athletik verknüpft, in den USA schon seit vielen Jahren Erfolg. Und auch bei Roscheck schlägt das Training sofort an. „Beim ersten Treffen haben wir leichte Übungen gemacht. Ich bin Achten gelaufen und habe zum Beispiel meine Handgelenke gedreht“, erzählt der Handballprofi. „Nach nur zwei Stunden war meine Schulter schmerzfrei. Das war wahnsinnig.“ Lienhard ist der Meinung, dass Roschecks Wahrnehmung einen großen Teil zu seiner Verletzungsreihe beiträgt: Ein Auge wird vom Gehirn mehr genutzt als das andere. „Wenn ein Teil des Gleichgewichtssystems deutlichere und präzisere Informationen liefert als die übrigen, werden diese auch mehr benutzt“, erklärt der Sportwissenschaftler, der 2014 als Neurotrainer bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien dabei war. „Das Gehirn versucht, das zu kompensieren. Mechanisch lässt sich das dann als Schiefstand messen.“ Hilfe schafft neuroathletisches Training. 

Für Roscheck ist das inzwischen Alltag: Täglich trainiert er nicht nur Kraft, Ausdauer und Technik, sondern auch sein Gehirn. In einer kleinen Kosmetiktasche hat er alles dabei, was er für sein neuroathletisches Training benötigt. „Ich arbeite zum Beispiel mit einer Augenklappe und Zahlenbildern“, erklärt der Profisportler. „Duftstoffe, aber auch banale Vorgänge wie das Gurgeln helfen außerdem dabei, verschiedene Bereiche in meinem Gehirn zu aktivieren.“ Eine Stunde täglich nimmt er sich dafür Zeit: Zuerst von seinen Mannschaftskameraden belächelt, lassen sich Erfolge nicht abstreiten. „Ich bin seitdem nicht nur gesund geblieben, sondern auch deutlich schneller und stärker geworden“, erklärt Roscheck, der für seine flinken Beine in der stärksten Liga der Welt bekannt ist. „Ohne Lars und sicher auch ohne Disziplin hätte ich es nicht in die erste Bundesliga geschafft.“ Während der Krefelder an seiner Profikarriere arbeitet und sich der SC DHfK als Größe in der ersten Bundesliga etabliert, arbeitet Lienhard an Aufklärung. Er ist sich sicher, dass eine Umstellung in den Trainingsmethoden stattfinden wird: „Die Erkenntnisse der Neurowissenschaften finden immer mehr Beachtung im Sport. Wer gesund Leistung bringen will, muss an seiner schwächsten Stelle arbeiten.“

Weitere Informationen zum Thema Neuroathletik finden Sie im Internet: www.neuro-athletic-training.com und auf www.focus-on-performance.de