Eritrea, Ghana, Nepal - seit 22 Jahren hilft die Ärztin Dr. Berenike Gensior den Kranken

Zwanzig Jahre lang hat Afeni ihren Sohn in der Hütte versteckt. Zwanzig Jahre lang hat niemand aus dem Kraal in Namibia ihren Hassan gesehen. Denn Afeni war überzeugt: In ihrem Sohn steckt ein Dämon. Er kam mit einem entstellten Gesicht zur Welt, dass sich mit zunehmendem Alter immer mehr in eine abstoßende Fratze verwandelte. Er konnte nicht richtig sprechen oder essen, seine Zähne wucherten aus dem lippenlosen Mund.

Doch Afeni liebte ihren Sohn. Und als sie hörte, dass Ärzte aus Deutschland nach Namibia kämen, um entstellte Gesichter zu operieren, nahm sie einen Fünf-Tages-Fußmarsch auf sich und brachte ihn ins Krankenhaus. Dort warteten sie mit hunderten von Afrikanern in einer langen Schlange vor dem Hospital und hofften, zur Untersuchung hineingelassen zu werden. Drei Tage später wurde Hassan an der Lippengaumenspalte operiert. Nach zwanzig Jahren bekam er ein richtiges Gesicht. Die Krefelder Anästhesistin Dr. Berenike Gensior war bei dem Eingriff dabei und als sie nach der Operation mit Afeni sprach, fiel diese ihr dankend um den Hals und sagte: „Sie haben mir einen Sohn geschenkt!“ Seit 1992 opfert die Medizinerin jedes Jahr zwei Wochen ihres Urlaubs, um Menschen in den entlegensten Gebieten von Afrika und Asien zu helfen. Angst, sich dabei anzustecken oder an Malaria zu erkranken, hat sie nicht: „Herrscht eine Epidemie, tragen wir entsprechende Schutzkleidung und geimpft gegen Tropenkrankheiten sind wir natürlich auch. Ansonsten achte ich aber schon darauf, kein geschältes Obst oder Salat zu essen“ , meint sie. Dr. Berenike Gensior ist für den gemeinnützigen Verein INTERPLAST aktiv, der weltweit plastisch-chirurgische Einsätze in den Entwicklungsländern organisiert und durchführt. Die Medizinerin:  „Sehr häufig operieren und transplantieren wir nach Verbrennungen. Die Menschen in den Dörfern haben oft keinen Strom, sie kochen und beleuchten mit offenen Feuerstellen, an denen die schlimmsten Unfälle, gerade mit Kindern, passieren. In Indien haben wir sehr viel auch mit Verätzungen nach Säureattentaten zu tun. Wir operieren angeborene Fehl- oder Missbildungen, Tumore oder zum Beispiel bei Krankheiten wie Noma. Das ist eine bakterielle Erkrankung, die sich auf der Mundschleimhaut entwickelt und von dort andere Weichoder Knochenteile des Gesichts zerfrisst“, erklärt Dr. Gensior und fügt hinzu, dass Noma meist Kinder in Entwicklungsländern befalle, deren Immunsystem durch Unterernährung bereits geschwächt seien. Im November fliegt die Krefelderin wieder für zwei Wochen zu einem Einsatz nach Sri Lanka. Diesmal mit ihrem Ehemann, dem plastischen Chirurgen Dr. Matthias Gensior, mit dem sie auch in Korschenbroich zusammenarbeitet. Die Anästhesistin: „ Früher sind wir getrennt zu den INTERPLAST-Einsätzen gereist. Doch seitdem unsere Söhne erwachsen sind, machen wir das häufig zusammen.“ Insgesamt besteht das Ärzteteam bei jedem Einsatz aus zwei OP-Teams mit jeweils einem plastischen Chirurgen, Anästhesisten, Anästhesie-Schwester, OP-Schwester und einem Kieferchirurgen. Im Gepäck hat Dr. Berenike Gensior immer mehrere hundert Kilo an Medikamenten und Narkosematerial. Auch wenn sie vor Ort in Krankenhäusern arbeiten, geschieht dies meist unter erschwerten Bedingungen. Die Ärztin: „Manchmal müssen wir mit Taschenlampen operieren, weil der Strom ausfällt. Wenn wir wissen wollen, ob der Patient Blutkonserven benötigt, können wir keine Laborwerte hinzuziehen, sondern verlassen uns auf unsere Einschätzung beim Blick in die Augen und suchen schnell einen Verwandten der gleichen Blutgruppe.“ Aber Probleme zu lösen, Umzudenken und sich den Gegebenheiten anzupassen, liegt der dynamischen Ärztin: „Ich mag die Herausforderung, das schnelle Handeln und Entscheiden müssen. Das war auch der Grund, weshalb ich als Assistenzärztin leidenschaftlich gerne Notarzt gefahren bin“ , erinnert sie sich. Auch in ihrer Freizeit liebt die Medizinerin Geschwindigkeit und Ausdauer und hat sich mehrfach für den Ironman Hawaii qualifiziert, der als einer der schwierigsten Ausdauerwettkämpfe der Welt gilt. Zweimal hat die sportliche Krefelderin an diesem bekannten und spektakulären Wettkampf teilgenommen, der als höchstes Ziel eines Triathleten gilt.

Ihr Name, Berenike, ist Griechisch-Mazedonisch und bedeutet so viel wie „für den Sieg gemacht“ . Ein Leitmotiv für ihr sportliches Engagement erkennt Dr. Gensior darin aber nicht. „Ach was, ich laufe einfach besonders gern, auch bei meinen Einsätzen im Ausland. In Nepal war ich jeden Morgen um sieben Uhr joggen, in 2500 Metern Höhe. Zurück in Deutschland lief ich beim Marathon meine Bestzeit“ , erzählt sie lachend. Morgens und abends eine Stunde – mehr bleibt während eines Auslandeinsatzes an Freizeit nicht übrig. Von acht bis 20 Uhr wird durch operiert. Dafür gibt es kein Geld. Stattdessen verlieren die Ärzte und Schwestern zwei Wochen ihres Jahresurlaubs. Aber sie erhält etwas anderes, das  in ihren Augen viel wichtiger ist. Dr. Berenike Gensior:  „Wir bekommen eines der schönsten Geschenke von den Menschen, denen wir helfen. Und das ist ihre Dankbarkeit. Die kann kein Geld ersetzen. Für die Menschen passieren wahre Wunder, sie können plötzlich wieder am Leben teilnehmen. Und wir freuen uns, dass wir ihnen dazu verhelfen konnten.“

Die Ärztin erinnert sich an eine indische Mutter, die sich nach der Operation weigerte, ihre Tochter anzunehmen. Dr. Gensior: „Sie behauptete, das sei nicht ihr Kind, weil das große, klaffende Loch aus dem Gesicht verschwunden war. Erst als sie die Henna-Tätowierungen unter den Fußsohlen ihrer Tochter sah, glaubte sie es und weinte vor Glück.“

Dankbarkeit erlebt Dr. Gensior in verschiedenen Abstufungen und Ausprägungen. Je nachdem, in welchen Teil der Erde sie sich befindet. „Hier ist es natürlich anders. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die Menschen bei uns medizinisch versorgt werden. Sie zahlen dafür und haben einen Anspruch darauf. Gleichzeitig entsteht dadurch eine ganz andere Erwartungshaltung. Muss der Patient eine halbe Stunde im Wartezimmer sitzen, ärgert er sich. In Afrika sitzen sie tagelang und hoffen, drangenommen zu werden. Auch wenn viele Patienten es in Deutschland nicht so zeigen, glaube ich schon, dass letztendlich jeder froh ist, wenn ihm geholfen wird“, erklärt sie.

Dr. Berenike Gensior praktiziert in der Praxisklinik Mühlenstraße in Korschenbroich, Tel. 02161/64618, www.chirurgie-korschenbroich.de