Trostspenderin. Versorgerin. Zuhörerin. Beraterin. Freundin. Begleiterin. Kollegin.

Eine Krankenschwester vereint viele Funktionen in ihrem Beruf. Die 57-jährige Hendrine Koll sieht es hingegen pragmatischer: „Ich bin Krankenschwester“, sagt sie bescheiden. „Das ist ein stinknormaler Job.“ Seit 39 Jahren im Beruf, wirkt die Nettetalerin als pflegerische Leitung der kardiologischen Station im Malteser Krankenhaus St. Josefshospital in Krefeld-Uerdingen. So normal, wie die Mutter einer erwachsenen Tochter ihre Tätigkeit darstellt, ist sie dann aber doch nicht – vor allem nicht in diesen Tagen, in denen in ihrer Abteilung akute COVID-19-Fälle untersucht werden. „Seit vielen Jahren verwandelt sich die kardiologische Station in unterschiedlichen Zyklen zum Isolations- und Behandlungsraum von Viruspatienten“, erklärt Koll. „Erst war es Noro, dann Influenza und jetzt eben COVID.“ Obwohl die leitende Krankenschwester und ihr Team Viruspatienten gewöhnt sind, ist jetzt alles anders: „Die Pandemie führt dazu, dass wir bei der Ausstattung auch mal improvisieren müssen – wenn auch auf hohem Niveau. So haben wir mit Laminierfolien Schutzbrillen umgearbeitet, weil diese auf dem Markt aktuell nur schwer zu bekommen sind. Es ist effektiv, aber auch sehr anstrengend.“ Aber, und da ist sich die 57-Jährige sicher, es lohnt sich, denn das, was das Team hier mit spürbarem Optimismus und Tatendrang leistet, rettet Leben. „Wie sagt Deutschland im Moment so schön: Wir sind systemrelevant“, betont Koll und lacht herzlich. „Das waren wir aber doch schon immer.“

Koll trifft schon als junge Frau sehr bewusst die Entscheidung, Krankenschwester zu werden. Mit der mittleren Reife beginnt sie, als „Sonntagsmädchen“ im naheliegenden Krankenhaus zu arbeiten. Sie bereitet das Essen für die Patienten vor und bringt es anschließend in die Zimmer. Mit fünf Mark wird sie entlohnt. „Das war eine Welt, die mich schon damals fasziniert hat“, erinnert sie sich. „Ich hatte das Gefühl, im Kleinen etwas dazu beitragen zu können, dass es kranken Menschen besser geht. Es für sie besser zu machen.“ Zu Hause pflegt sie mit ihrer Mutter die bettlägerigen Großeltern, Berührungsängste hat sie nicht. Im Gegenteil: Auch wenn es Oma und Opa immer schlechter geht, begleitet die junge Frau beide in schweren Stunden – und schöpft selbst Kraft daraus.

Das Sonntagsmädchen wird schließlich Reinigungskraft im Krankenhaus. Als Koll den Röntgenraum putzt, weckt sie die Aufmerksamkeit einer Mitarbeiterin. „Du und der Putzlappen, das sind doch Perlen vor die Säue“, erkennt sie Kolls besondere Empathiefähigkeit und hilft ihr auf den richtigen Weg. Mit 16 Jahren absolviert Koll die einjährige Krankenpflegehelferin-Ausbildung. Kurze Zeit später, mit Eintritt der Volljährigkeit, darf sie dann auch die Ausbildung in der Großen Krankenpflege beginnen. Ein Lebenstraum geht in Erfüllung, denn der Beruf entwickelt sich zur Berufung. Koll vertritt bei der Arbeit auch heute noch das gleiche, einfache Prinzip wie am Bett ihrer Großeltern: Sie versucht es besser zu machen. „Ich kann niemanden heilen, aber ich kann dafür sorgen, dass es für den Patienten einfacher und erträg- licher wird“, schildert sie. „Zu fragen, was der Patient braucht, zuzuhören, ihn nicht einfach nur zu waschen, sondern mir dabei Mühe zu geben und auch mal einen Witz zu machen, das fällt nicht schwer, gibt aber so viel zurück.“

Die Krankenschwester durchläuft auf ihrem Berufsweg die unterschiedlichen Stationen des Malteser Krankenhauses. Sie arbeitet in der chirurgischen Abteilung und unterstützt viele Jahre lang die „Feuerwehr“ des Krankenhauses. Die Innere Medizin wird für sie nicht nur zur Wirkungs-, sondern auch zur Lehrstätte. Denn die eigentliche Pflege eines Patienten, zum Beispiel die Hilfe bei der Morgentoilette, die Vorbereitung und Begleitung von Untersuchungen oder auch die Dokumentation von Krankheitsverläufen, so sagt Koll, macht nur einen Teil ihrer Tätigkeit aus. Die weitaus größere Herausforderung stelle es dar,die Patienten und die Angehörigen in ihren besonderen Ängsten und Sorgen aufzunehmen und zu begleiten. „Um das zu lernen, war die Innere ideal, denn hier treffen wir auf Patienten jeglichen Alters und aus jeder Bevölkerungsschicht “, erklärt sie. Auch mit dem Tod wird sie hier konfrontiert, er wird zu einem alltäglichen Begleiter. Mit 19 Jahren betreut die Schwester zum ersten Mal einen Patienten in den letzten Stunden. Eine alte, lebensfrohe Dame hinterlässt sieben Enkelkinder auf der Welt und in der jungen Krankenschwester ein besonderes Gefühl. „Ich weiß heute, dass ich nicht jeden Verstorbenen mitnehmen kann, aber diese Dame bleibt für immer in meinem Herzen“, sagt die sichtlich bewegte Nettetalerin. „Achtsamkeit zu entwickeln, mit den Kollegen über belastende Erfahrungen zu sprechen oder auch den eigenen Umgang mit Menschen jeden Tag aufs Neue zu hinterfragen, das habe ich durch die tägliche Konfrontation mit dem Tod gelernt.“

Ihre wachsenden Kompetenzen treiben die Krankenschwester voran: Als vor acht Jahren die kardiologische Station im St. Josefshospital gegründet wird, ist Koll bereits zur Stationsleitung der Inneren aufgestiegen, zusätzlich übernimmt sie nun die Verantwortung für die weiteren, neu angegliederten 16 Zimmer. Zwar gehören nun auch das Schreiben von Dienstplänen, die enge Zusammenarbeit mit Hygienebeauftragten und die ständige Qualitätsprüfung zu ihren Aufgaben, aber es sind die Pflege und der Kontakt mit den Menschen, die die 57-Jährige immer noch jeden Tag aufs Neue begeistern und motivieren.

Die Krankenschwester strahlt dabei vor Positivität. Wenn sie lacht – und das tut sie oft – leuchten Ihre Augen, vermitteln Stärke und Grundvertrauen in das Leben. Angst im Berufsleben ist der 57-Jährigen fremd: „Auf der Station haben wir Respekt vor Corona, denn für uns alle ist es neu und wir wissen fast nichts über das Virus“, erklärt die Krankenschwester. „Aber Angst lähmt und das können wir nicht gebrauchen. Hier auf der Station fühlen wir uns sicher.“ Kraftraubend sind aber unter anderem die strengen Hygienevorschriften, die gegenüber Influenza und Noro-Virus noch einmal verschärft wurden. Rund sieben Minuten und einen Mitarbeiter mit helfender Hand braucht es etwa, um die Schutzkleidung anzuziehen. „Viele Patienten haben zu Beginn Sorge, dass wir sie wegen der besonderen Vorkehrungen seltener in ihren Zimmern besuchen“, schildert Koll. „Aber wir lassen unsere COVID-Patienten nicht allein. Auch wenn wir am Ende des Tages noch erschöpfter sind, ist es uns am wichtigsten, für sie da zu sein.“

Neue Kraft schöpft das Team der Coronastation aus den positiven Momenten. Vor Kurzem, so erzählt die leitende Krankenschwester, seien eine 79-Jährige und ein 80-Jähriger nach langem Kampf auf die Intensivstation verlegt worden. „Wir haben gedacht, dass sie es nicht schaffen werden“, erinnert sich die Nettetalerin. „Aber ihr Lebensgeist war unerschöpflich. Als sie zurückkamen, haben wir vor Freude geweint.“ Kolls Stimme wird brüchig und Tränen glitzern in ihren Augen. „Wissen Sie, das sind doch genau die Momente, für die wir unseren Job machen“, sagt sie. „Als Krankenschwester weiß ich, dass ich jede Sekunde mit den Menschen, die ich liebe, ausnutzen muss. Dass ich nur eine Chance habe, es richtig zu machen. Das hat dieser Beruf mich gelehrt.“