„Stopp“! Jonah hat eine helle Kinderstimme, und er ist zart und feingliedrig. Der, den er laut und bestimmt zum Halten auffordert, ist im Vergleich zu ihm ein Goliath: sein Wing Tsun-Trainer Carsten Messer. Mit ihm übt der Neunjährige, wie er sich bei einem Angriff am besten verhält. Wie er sich behauptet, den Gegner dazu bringt, ihn nicht anzugreifen oder im Extremfall die Schläge oder Tritte des anderen abwehrt. Jonahs Mutter Michaela Arnold, die selbst lange den südchinesischen Kung-Fu-Stil trainiert hat, beschreibt den Kampfsport so: „Man lernt, Konflikte möglichst gewaltfrei zu lösen. Die Kinder greifen selbst nie an. Aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, wissen sie, wie man die Energie des Gegners aufnimmt, umleitet oder sogar gegen den Gegner nutzt. Dadurch werden die Kinder selbstbewusst. Das strahlen sie aus, und sie werden nicht so leicht zum Opfer.“ Auch Carsten Messer betont, wie wichtig die innere Haltung sei: „Natürlich kann ein Neunjähriger einen 45-Jährigen nicht mit Körperkraft aufhalten. Aber er kann ihn mit Mut und Gegenwehr überraschen oder vorausschauend austricksen.“ Ein einfaches Beispiel führt der Trainer mit Jonahs älterem Bruder Joshua vor: Messer packt den 13-Jährigen fest am Oberarmen, doch Joshua reißt blitzartig seine Unterarme hoch – der bullige Trainer muss loslassen. Auch in einer anderen Abwehrtechnik sind die vier Jungen an diesem Nachmittag im Trainingsraum in Oppum schon recht gut: sich nach einem Stoß gegen die Wand sofort umzudrehen und die Wucht des Aufpralls zu nutzen, um den Angreifer kräftig zu schubsen. Schnelligkeit, Treffsicherheit und Schlagkraft sind die Ziele des Trainings. Aber, so versichert Jonahs und Joshuas Mutter: „Die Kinder werden nicht dazu erzogen, zurückzuschlagen, sondern die klügste Abwehr anzuwenden.“ Carsten Messer, der seit 20 Jahren Kinder in Wing Tsun unterrichtet, bekräftigt: „Es geht darum, dass der Andere spürt, dass er sein Opfer besser in Ruhe lässt. Weil derjenige weiß, wie er sich wehren kann.“ Allerdings, so räumt der Kampfsportexperte ein, gebe es da Grenzen. Wenn nämlich ein Angreifer zu allem entschlossen sei. „Da sollte man sehen, dass man wegkommt“, erklärt der Vater zweier Söhne, der auch Polizisten, Soldaten und Sicherheitspersonal ausbildet. Geduldig übt er mit den Kindern ein, wie sie nach einem Sturz schnell nach hinten aufstehen und weglaufen. Vom Ernst einer solchen Situation ist hier bei dem Training wenig zu spüren: Die Jungen kichern fortlaufend, und als Carsten Messer mit einer riesigen Pratze – das ist ein Polster, mit dem man Schläge oder Tritte trainieren kann –nach ihnen schlägt, quietschen sie vor Vergnügen. Jonah hat mit dem ernsten Hintergrund des Kampftrainings ohnehin nicht viel im Sinn. Auf die Frage, wieso er Wing Tsun mache, antwortet der Grundschüler: „Meine Oma und ich haben im Fernsehen Jacky Chan gesehen. Der kann rückwärts eine Treppe runterfallen und dabei einen Salto machen. Solche Tricks will ich auch können!“ Vorerst übt Jonah den gemeinen Mattenkampf mit seinem Bruder – und lässt ihn lieber gewinnen, damit der ihm nachher als Rache nicht wieder Wasser über den Kopf gießt. Kluge Konfliktstrategie!

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