Wenn der Krefelder Kinder- und Jugendarzt Dr . Sebastian Wirth montags um halb acht seine Praxis am Dionysiusplatz öffnet, wissen er und seine sieben Mitarbeiterinnen schon vorher: Das wird ein  langer Tag! Rund 120 Kinder, fast eine komplette Grundschule, sind es, die zu Wochenbeginn seine Sprechstunde aufsuchen. Die ersten  Termine sind einbestellt: die Blutabnahmen und Vorsorge-Untersuchungen bei den Schülern. Die nimmt der stets gut gelaunte Kinderarzt als erstes an, damit „sie nicht so viel vom Unterricht verpassen.“ Hinzu kommen die Notfälle, die Erkrankungen vom Wochenende und die Patienten, die an chronischer Bronchitis oder an Asthma leiden.

Dadurch, dass Allergien und chronische Erkrankungen bei Kindern immer weiter zunehmen, muss Dr. Wirth, der als einziger Kinderpneumologe in Krefeld praktiziert, zusätzlich zu seinen Untersuchungen und Behandlungen auch viel Aufklärungsarbeit leisten. Denn eine der Hauptursachen, neben der eventuell geerbten Veranlagung, sieht der Kinderlungenarzt in den Umweltfaktoren und in der  Lebensweise der Familien: „Es gilt als erwiesen, dass die Landbevölkerung weniger von allergischen Erkrankungen betroffen ist als die Menschen, die in der Stadt leben.“ Natürlich können deshalb nicht alle aufs Land ziehen. Aber es gibt viele Faktoren, auf die Eltern achten sollten. „Zum Beispiel nicht zuhause zu rauchen“, empfiehlt der Mediziner. „Kinder atmen als Passivraucher alle Schadstoffe mit ein und belasten damit schon von klein auf Lunge und Atemwege. Besonders schlimm wird es dann, wenn eine Katze mit in der Familie lebt, denn Katzenhaare sind extrem allergiefördernd.“ Ein weiterer, wesentlicher Aspekt ist die Ernährung. Viele Kinder essen zu viel Fett und Zucker und zu viele Fertigprodukte. Deshalb rät der zweifache Familienvater den Eltern, einen großen Bogen um die farbigen Verpackungen zu machen. Je bunter diese sind, desto schlechter sind sie auch für das Kind. Auch das Vorurteil, nur wohlhabende Familien könnten sich gesunde Lebensmittel leisten, weist der Mediziner energisch zurück: „Eine Packung Haferflocken selbst zu mischen und mit Nüssen anzureichern ist deutlich billiger und  gesünder, als ein Knuspermüsli zu kaufen. Und Wasser aus der Leitung ist besser als aus jeder PETFlasche oder als gesüßte Säfte.“ Um das Allergierisiko bei Kindern von Anfang an zu mindern, appelliert Wirth an alle jungen Mütter, zumindest die ersten fünf Monate ihr Kind voll zu stillen: „Das ist leider ein echtes Problem geworden, weil die Natürlichkeit des Stillens völlig verloren gegangen ist. In den Kliniken werden die Mütter nicht mehr richtig angewiesen und geben zu schnell mit dem Stillen auf, wenn sie nicht gleich nach der Geburt genug Milch haben. Dabei ist es ganz normal, dass bei einigen Frauen die Milch erst später richtig einschießt, insbesondere dann, wenn sie per Kaiserschnitt entbunden haben. Und dann kommt erschwerend hinzu, dass die Industrie für Folgemilch ihre Gratispackungen in den Kliniken verteilt.“

Aber nicht nur Allergien haben zugenommen, auch das Übergewicht: In Deutschland ist inzwischen jeder dritte Jugendliche und jedes fünfte Kind übergewichtig. Rund acht Prozent der 10- bis 14-Jährigen und vier Prozent der 5- bis 7-Jährigen sind sogar adipös, also krankhaft übergewichtig. Die falsche Ernährung ist eine Ursache dafür, eine andere ist die Lebensweise der Kinder. Wirth, ein begeisterter Snowboarder und Kitesurfer, bedauert, dass viele Kinder nach der Schule ihre Freizeit vor dem Fernsehgerät, am Computer oder mit Spielekonsolen verbringen, statt draußen zu spielen und sich zu bewegen. Und er kritisiert das durchgetaktete Leben der Kids: „Es bleibt zu wenig freie Zeit. Wenn sie erst um halb fünf aus der Betreuung oder aus dem Unterricht nach Hause kommen, haben die wenigsten Lust, noch etwas zu unternehmen. In der Nachmittagsbetreuung wird meiner Ansicht nach viel zu wenig auf Bewegung geachtet. Es ist nicht so wie in England oder in den USA, wo die Kinder in den Schulen nachmittags regelmäßig Sport treiben.“  Deshalb rät er allen Jugendlichen, unbedingt die Vorsorgeuntersuchungen J1 (12-14 Jahre) und J2 (16-17 Jahre) wahrzunehmen. Wirth: „Gerade bei  Teenagern kann während der Pubertät noch rechtzeitig etwas unternommen werden, wenn sie zum Beispiel übergewichtig sind. Später wird es deutlich schwieriger.“ Wenn Dr . Wirth heute Bilanz von seinem Alltag als Kinder- und  Jugendarzt zieht, stellt er fest, dass sich die Arbeit im Vergleich zu früher deutlich geändert hat: „Ich bin nicht mehr nur Arzt, sondern auch so etwas wie ein Psychologe und Lebensberater. Viele meiner Patienten müssen eine Trennung der Eltern mitmachen, kommen aus zerrütteten Familien oder haben Probleme in der Schule und werden dadurch krank. Auch bei intakten Familienverhältnissen kann es zu psychischen Belastungen bei den Kindern kommen, zum Beispiel bei Übereingriffen in deren Privatleben. Ein gesundes Mittelmaß ist wichtig, einerseits Förderung, aber andererseits eben auch genügend Ruhephasen und freie Zeit.“

Und wie sorgt der Kinderarzt dafür, dass seine beiden Söhne (5 und 7 Jahre alt) gesund bleiben? Er lacht: „Ach, ich habe da die gleichen Probleme wie alle anderen Eltern auch. Aber eines steht fest: Sie spielen viel an der frischen Luft und: es gibt bei uns auch mal ‘ne Pizza!“

Dr. med. Sebastian Wirt, Dionysiusplatz 12, Tel. 02151 25223, www.kinderarzt-krefeld.de