Am nur wenige Tage zurückliegenden Halloweenfest durften sich uralte Schauergestalten wieder einmal besonderer Aufmerksamkeit erfreuen: Vampire. Neben Geistern und Hexen gehören sie zu den ältesten Produkten menschlichen Aberglaubens. Forscher haben allerdings schon vor geraumer Zeit die Theorie gefasst, dass nicht etwa der Teufel oder „das Böse“ von verstorbenen Menschen Besitz ergriff und sie bewegte, aus ihren Särgen zu steigen, um Blut zu trinken. Stattdessen sollen schwere Krankheiten, die man im Mittelalter und der frühen Neuzeit noch nicht einzuordnen wusste, für die Geschichten rund um Dracula und Nosferatu mitverantwortlich sein. Für die meisten von uns bedeutet dieser Aberglaube heute nichts weiter als Spaß und ein bisschen Gänsehaut. Für Betroffene sogenannter „Vampirkrankheiten“ ist der Mythos ein Stück weit bittere Realität. 

Porphyrie
Eine gängige Theorie verknüpft die Stoffwechselerkrankung Porphyrie mit vielen typischen Merkmalen, die Vampiren über die Jahre angedichtet wurden. Betroffene leiden unter extremer Lichtempfindlichkeit. „An Hautstellen, die der Sonne ausgesetzt sind, bilden sich schmerzhafte Ausschläge, deshalb meiden sie so gut es geht das Sonnenlicht“, erklärt Hautarzt Dr. sc. hum. Ko-Ming Chen aus Düsseldorf. Der Dermatologe und Dermatohistologe ist ein überregional bekannter Experte im Bereich der Hautgesundheit und hatte im Verlauf seiner Karriere, die ihn von Tainan über Baltimore bis nach Düsseldorf führte, bereits mehrere Patienten mit porphyrie-bedingten Leiden. Durch eine Schädigung der Leber und einen Mangel an rotem Blutfarbstoff wirkt die Haut der Erkrankten oft gelblich verfärbt oder ungewöhnlich blass. Aufgrund schwerer Bauch- und Hautschmerzen können Betroffene außerdem häufig nicht schlafen. „Manchmal stirbt auch Gesichtsgewebe ab, sodass groteske Entstellungen entstehen und die Zähne unnatürlich groß wirken“, erläutert Dr. Chen weiter. Durch Einlagerungen roter Farbkörperchen in den Zähnen und dem Zahnfleisch wirkt die Mundpartie blutig – so könnte der Eindruck entstanden sein, die betroffene Person habe kurz zuvor Blut getrunken oder jemanden gebissen. Die heftigen Symptome der Erkrankung führen unter Umständen sogar zu Psychosen, die unter Umständen auffälliges Verhalten auslösen. Allerdings tritt die Krankheit nur sehr selten auf, was Gegner der Theorie zur Annahme führt, sie könne nicht allein verantwortlich für einen so weit verbreiteten Mythos wie den Vampirismus sein. 

 Ektodermale Dysplasie
Neben der Porphyrie gilt auch die Ektodermale Dysplasie als „Vampirkrankheit“. Unter den Begriff fällt eine Vielzahl artverwandter genetischer Erkrankungen, die im Embrionalstadium zu Defekten am Keimblatt führen, das eine der Grundlagen für die Ausbildung der meisten äußeren Merkmale eines Menschen bildet. Darunter fallen Haut, Haare, Zähne und Nägel. Diese Erkrankung tritt wesentlich häufiger auf als Porphyrie. „Die gängigste Form der Ektodermalen Dysplasie ist das Christ-Siemens-Touraine-Syndrom. Daran erkrankt circa eines von 10.000 Neugeborenen“, weiß Ko-Ming Chen, der selbst bereits mehrere ED-Patienten behandelte. „Die Betroffenen haben kaum Haare und Nägel, keine oder nur schwach ausgebildete Schweißdrüsen. Dadurch haben sie enorme Probleme mit dem Temperaturausgleich. Während ein gesunder Mensch im Sommer schwitzen kann, um die Körpertemperatur auf normalem Level zu halten, bekommen ED-Patienten oft Fieber und meiden deshalb Sonne und Hitze.“ Außerdem zeigen sich bei ihnen spitze Vorder- und Eckzähne, die an die sagenumwobenen Vampirzähne erinnern. Die Nase ist oft sehr flach, die Überaugenwulst dafür stark ausgeprägt. Aufgrund ihres Äußeren werden Betroffene häufig von ihrer Umwelt gemieden und leiden psychisch unter ihrem auffälligen Aussehen. Eine bekannte Ausnahme ist der amerikanische Schauspieler Michael Berryman, der Aufgrund seines Erscheinungsbildes ironischerweise häufig die Rolle eines Monsters mimt. 

Bisher gibt es keine Heilung für die Krankheit, lediglich eine Behandlung der Symptome ist möglich. „Seit 2018 werden Versuche angestellt, die Krankheit pränatal zu heilen. Die fehlenden Proteine, die dem Keimblatt zur korrekten Entwicklung fehlen, wurden bei einigen Testpersonen in das Fruchtwasser gespritzt. Dieser Versuch ist geglückt. Alle Kinder zeigten bessere Schweißfunktionen und Zahnanlagen als bei ihrer Krankheit zu erwarten gewesen wäre“, erklärt Dr. Chen. „Doch aktuell können Betroffene sich nur kühlen, artifizielle Zähne und Fingernägel anbringen lassen und eine Perücke tragen. Diese Maßnahmen nehmen natürlich hauptsächlich Einfluss auf ihr Äußeres.“

Sicherlich sind die beiden Krankheiten nicht allein Zündstoff für die vielen Geschichten über Untote und Blutsauger, doch sie dürften zu der Verbreitung des Aberglaubens beigetragen haben. An Porphyrie oder Ektodermaler Dysplasie zu erkranken, bedeutet auch heute noch ein schweres Schicksal. Denn obwohl die Forschung sehr weit vorangeschritten ist, fehlt es noch immer an schnellen und wirksamen Heilmethoden. Die Vorstellung, vor mehreren Jahrhunderten einer abergläubischen Gesellschaft ausgesetzt zu sein, ohne Chance auf Heilung oder Linderung, ist aus heutiger Sicht erschreckend. Wie so häufig in der Geschichte hat ein Missverständnis zur Entstehung eines Mythos beigetragen, der zwar unser kulturelles Leben stark beeinflusst und unser mediales Unterhaltungsprogramm bereichert hat, hinter dem jedoch eine ernste Wahrheit steckt.