Achtsam genossenes Essen sollte in aller Munde sein. Denn diese Form der Nahrungsaufnahme lehrt uns, Essen nicht einfach in uns hineinzuschlingen, sondern ganz bewusst wahrzunehmen. So könen wir uns das natürliche Gefühl für Hunger und Sättigung zurückholen, das wir in der Schnellebigkeit unserer Zeit vielleicht verloren haben. Die moveo-Redaktion hat es getestet.

Dunkles Orange. Die Farbe der Suppe auf dem Löffel, den ich gerade in der Hand halte, ist ein dunkles Orange, aufmerksam betrachte ich die Suppe. Ich beuge mich etwas näher zu meinem Löffel, schnuppere an der Suppe. Orange ist nicht nur ihre Farbe, sie duftet auch nach Orange. Und nach Kokos. Langsam führe ich den Löffel zu meinem Mund, lasse ihn hinter meinen Lippen verschwinden. Sämig. Samtig. Die Konsistenz der Suppe ist sämig und samtig, sie ist würzig-süßlich, ich schmecke Koskosmilch, Orangensaft. Weich, warm liegt die Suppe auf meiner Zunge, ich schwenke sie in der Mundhöhle sanft hin und her, lasse sie meinen Gaumen kitzeln – erst dann schlucke ich sie hinunter. Ich esse gerade Kürbissuppe. Aber ich esse diese Suppe nicht irgendwie. Ich esse sie achtsam.

Ein Donnerstag im Oktober, es ist später Abend. Wir sitzen in der Kochschulküche von „Hoster“, dem traditionellen Krefelder Kücheneinrichtungshaus an der Hülser Straße. Das Einrichtungshaus beherbergt eine eigene Kochschule. Die Küche wurde gebucht von Andrea Stallmann: Die 51-jährige Geschäftsführerin der Krefelder Ernährungsberatung „Praxis Essgenuss“ (www.essgenuss-krefeld.de) ist extra für uns hierher gekommen, um mit uns zusammen eine gesunde Wintermahlzeit zuzubereiten, die eben erwähnte Kürbissuppe. Wir wollten aber nicht nur einfach zusammen kochen. Wir wollen erfahren, was es mit dem „Achtsamen Essen“ auf sich hat: Was ist diese besondere Form der Nahrungsaufnahme, die derzeit in aller Munde ist, wie geht das? „Achtsamkeit kennen wir aus der buddhistischen Lehre und der Meditationspraxis, die unseren Geist ins Hier und Jetzt holt“ , sagt Stallmann, während wir um den Küchentresen sitzen und  unsere Löffel in die soeben fertig gewordene Kürbissuppe auf den Tellern vor uns tauchen. „Wer achtsam isst, konzentriert sich im Hier und Jetzt auf sein Essen, nimmt jeden Bissen mit allen Sinnen bewusst wahr – und zwar ohne zu bewerten. Es geht nichts ums Urteilen, sondern nur ums bewusste Wahrnehmen“ , erklärt Stallmann. Und das meint wirklich den Einsatz aller Sinne. Wir nutzen den Sehsinn unserer Augen, den Riechsinn unserer Nase, den Tastsinn unserer Hände, bei einer Suppe übernimmt dies der Löffel. Wir sollen das Essen einen Moment im Mund liegen lassen, erst dann sollen wir beginnen zu kauen, „ganz langsam!“ , sagt Stallmann: „Wie verändert sich der Geschmack beim Kauen? Welches Gefühl erzeugt die Speise durch die Berührung mit Zähnen, Gaumen, Zunge?“ Und erst, wenn man diese Sinnesreise mit der Speise unternommen hat, schluckt man den Bissen hinunter. Legt idealerweise das Besteck zur Seite. Macht eine Pause. Bevor man sich den nächsten Bissen nimmt.

Interessant. Aber warum soviel Achtsamkeit in Bezug auf das Essen? „Weil wir so wieder erspüren, was und wieviel an Nahrung der eigene Körper wirklich braucht“, erklärt Stallmann. „So können wir etwas wiedererlangen: unser natürliches Gefühl für Hunger und Sättigung.“ Das haben nämlich viele Menschen verloren, ohne es zu merken. Wenn sie sich abends auf der Couch eine Tüte Chips reindrücken, sich schon den nächsten Bissen in den Mund schieben, obwohl sie noch gar nicht fertig gekaut, hinuntergeschluckt haben, merken sie nicht, dass sie keinen Hunger stillen. Sondern ihre Seele füttern. Oftmals essen sie dann mehr, als sie eigentlich wollen, Gewichtszunahme ist die Folge. „Achtsames Essen kann dem entgegen wirken“ , unterstreicht Ernährungsberaterin Stallmann: „Wenn ich ein einzelnes Stück Schokolade einmal ganz bewusst lutsche, kaue, kann ich schon aus diesem einzigen Stück vielleicht soviel Genuss ziehen, wie aus einer halben Tafel Schokolade.“ So gesehen könnte das Achtsame Essen tatsächlich eine Anschubhilfe fürs Abnehmen sein. Auch angesichts dieser Zahl: 73 Prozent der Frauen in Deutschland, die eine klassische Diät gemacht haben, sind ein Jahr nach der Diät genauso schwer wie vorher, manche sogar schwerer. Das hat die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in einer Studie herausgefunden, die die GfK im Auftrag des Eschborner Ernährungswissenschaftlers Uwe Knop durchgeführt hat. Es spricht also viel gegen Diäten, bei denen man nur hungert und sonst nichts über die Bedürfnisse des eigenen Körpers lernt - es spricht viel für das achtsame Essen als Alternative. Stallmannn rät, klein anzufangen. „Ich empfehle, zunächst nur die ersten beiden Bissen einer Mahlzeit ganz bewusst wahrzunehmen. Wer sich mehr zutraut, kann sich eine einzelne komplette Mahlzeit am Tag aussuchen, die er mit Achtsamkeit isst.“ Auch sollte man nach jedem Bissen für sich prüfen: Will ich noch weiteressen? Bin ich noch hungrig? Fast bedauerlich, wenn etwas so lecker ist, wie unsere Kürbissuppe heute Abend. Ich blicke auf den leeren Teller vor mir. Nachdem ich so bewusst gegessen habe, fürchte ich, mir wird bewusst: Ich bin ja schon satt?