Emerson von Stülpnagel-Muniz verbringt jede freie Minuten auf dem BMX-Rad. Bei Straßenfesten und anderen Veranstaltungen in Krefeld hat er sein Können schon unter Beweis gestellt und für staunende Gesichter gesorgt. Los ging die Trendsport-Karriere auf den Straßen und Plätzen seiner Heimat, der brasilianischen Mega-Metropole São Paulo. Vor gut zehn Jahren wechselte der Fluggerätemechaniker – mit Ausbildung in Mönchengladbach – die Seiten des Atlantiks. Berufliche und private Gründe zogen ihn dauerhaft nach Deutschland, genauer gesagt nach Krefeld.

Wer zu einem Mediziner geht, der im Internet als „sk8docsimon“ bekannt ist, muss schon ein besonderer Typ sein. Auf Emerson von Stülpnagel-Muniz trifft das zweifellos zu. Schließlich hat er einen nicht unwesentlichen Teil seines Lebens einem kleinen Rad gewidmet. Und nimmt dabei ein nicht unbeträchtliches Verletzungsrisiko in Kauf. Auch aktuell hat der 43-Jährige aus schmerzvollen Gründen mal wieder besonders häufig Kontakt zum Arzt seines Vertrauens: Der leidenschaftliche BMX-Fahrer, der vor allem vielen jungen Krefeldern ein Begriff ist, hat sich bei der Ausübung seines Hobbys am Fuß verletzt. Das kleine, wendige Rad muss er also erst einmal stehen lassen. Pausieren ist angesagt. Eine große Sache sei das mit dem Fuß aber nicht, winkt der gebürtige Brasilianer ab: „Alle BMX-Fahrer kennen Verletzungen dieser Art. Wir spielen eben mit der Physik. Da kann es schon mal zu kleineren Missgeschicken kommen.“ Bislang am schlimmsten hatte es ihn Ende der 90er-Jahre erwischt. „Ich hatte Seitenwind, der ist bei unserem Sport nicht ungefährlich“, erinnert er sich. Vom Wind gepusht, flog er aus der Bahn und landete mehr als unsanft. Das Resultat war eine Mehrfachverletzung am Knie. Was alles genau kaputt war, kann er heute nicht mehr sagen. Allen Blessuren und Knochenbrüchen zum Trotz – „der Spaß überwiegt.“ Man könnte auch sagen: Emerson, wie er von allen genannt werden möchte, ist süchtig nach BMX.

Dieser Passion konnte und kann er auch in Krefeld nachgehen. Mehrere Jahre lebte er in der Stadt und fühlte sich hier schon bald heimisch. „Natürlich habe ich Brasilien manchmal vermisst. Aber Krefeld mag ich auch sehr“, versichert er glaubhaft. Und auch wenn er seit kurzem in Köln wohnt, ist er doch weiterhin regelmäßig am Niederrhein. Vor allem, um seinen Sohn bei der Mutter in Krefeld zu besuchen. Der Sechsjährige ist bereits vom BMX-Fieber infiziert. „Schon mit einem Jahr rollte er durch die Gegend.“ Emerson hatte ihm extra ein BMX-Laufrad gebaut. Inzwischen beherrsche der Junior schon einige Tricks. „Er ist schon ganz gut“, lobt der stolze Vater. Vielleicht, so hofft er, „entsteht ja eines Tages ein Mini-Skatepark in Krefeld, wo sich die Jüngsten an die Trendsportarten heranwagen können.“ Seinen Sohn will er aber nicht zu seinem Hobby drängen: „Jedes Kind muss selbst herausfinden, wofür es brennt“, betont er. Und schiebt sofort ein dickes „Aber“ hinter: „Es würde mich schon freuen, wenn er dauerhaft dabeibleibt. BMX kann einem wahnsinnig viel bringen. Es ist einfach befreiend“, schwärmt der niederrheinisch-kölsche Südamerikaner.

So denken sicherlich auch viele seiner jungen Fans. Am Niederrhein hat sich Emerson in vielfältiger Weise um den BMX-Sport verdient gemacht. Die wohl wichtigste Maßnahme war die Sanierung der Pump Track, so nennen Profis eine BMX-Bahn, neben der Skate-Anlage am Voltaplatz. Emerson, der schon in Brasilien die Strecke für Taboão da Serra geplant und gebaut hatte, kümmerte sich ehrenamtlich um die Sanierung der maroden Bahn und betreut sie bis heute als sogenannter Spielplatzpate der Stadt. Auch zum Werkhaus bestehen engste Beziehungen, Emerson ist sozusagen als Open-Air-Dozent tätig. Während die auch von Skatern genutzte Anlage am Voltaplatz zu Sprüngen einlädt, ist der Pump Trackein welliger Rundkurs, auf dem die Jungs und die bislang wenigen Mädchen auch mal richtig Gas geben können. Trainer und Kumpel Emerson kommt jede zweite Woche aus der Domstadt. Neben dem Hotspot Voltaplatz empfiehlt er die Skateanlage in Uerdingen als guten Standort für seinen Lieblingssport.

Sein Traum ist ein zweiter Skatepark nahe der City. Er könnte den Voltaplatz entlasten. „Der Platz ist sehr attraktiv. Daher treffen sich die unterschiedlichen Fahrniveaus und unterschiedliche Sportarten.“ Kollisionen zwischen Skatern sowie Roller- und BMX-Fahrer sind angesichts des Andrangs manchmal kaum zu verhindern. „Es ist zwar schön, dass der Park so stark frequentiert wird, doch für mein Gefühl ist er etwas zu voll.“ Und vom Springen und Cruisen auf offener Straße muss er abraten. Das ist offiziell verboten. Ein BMX-Rad zählt als Sportgerät, nicht als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr.Das sei vielen nicht bewusst.

Bei Nichteingeweihten lösen die drei großen Buchstaben ohnehin oft nur ein Achselzucken aus. Mancher Filmfan erinnert sich vielleicht noch an die legendäre Szene aus „E.T., der Außerirdische“, in der der kleine Elliott dank der Fähigkeiten seines Freundes mit seinem BMX in den Himmel steigt. Aber sonst ist in der breiten Öffentlichkeit wenig Konkretes über den Sport bekannt. Wie der Bund Deutscher Radfahrer auf seiner Webseite rad-net schreibt, ist Bicycle Motocross(dafür steht die Abkürzung nämlich) eine verhältnismäßig junge Radsport-Disziplin. Geboren wurde sie in den Sechzigerjahren – natürlich in den USA. Jugendliche übten auf speziellen Fahrrädern mit 20-Zoll-Laufrädern Tricks und Stunts ein. In den Achtzigern erlebten die kleinen Bikes dann auch ihren Durchbruch in Europa. Auch in Krefeld sparten viele Schüler ihr Taschengeld oder hofften auf den Weihnachtsmann.

Heute existieren verschiedene Unter-Disziplinen. Raceentstand laut rad-net dadurch, dass Kinder und Jugendliche sich mit ihren BMX-Rädern im Gelände Rennen lieferten. Ihr Vorbild waren die Motocrossfahrer. Es entstanden erste Tracks, also Bahnen mit mit Starthügeln, Hindernissen, Kurven. 1982 ging die erste – inoffizielle – BMX-WM über die Bühne. Seit Mitte der Neunzigerjahre liegt die Organisation beim Weltradsportverband UCI. Zeitgleich entwickelte sich die Freestyle-Disziplin, bei der unter anderem Halfpipes für waghalsige Manöver genutzt werden. Auch hierzu finden seit Jahrzehnten Weltmeisterschaften statt. Verfolgt werden Events wie die X Gamesvon Anhängern rund um den Globus. In seinem Geburtsland gehöre São Paulo zu den wichtigsten Zentren dieses Sports. Die dortige Anlage „Caracas Trails“ sei unter Kennern in der ganzen Welt berühmt. „Der Lokalmatador heißt Leandro Moreira.“ Wer ihn googelt, findet sofort spektakuläre Videos.

Für Emerson bildet die Szene auf allen Kontinenten eine große Familie. Gerade weil BMX seit den Achtzigern populär ist, hat sich ein starkes Netzwerk gebildet, zu dem auch Menschen jenseits des Teenie-Alters gehören.So wie er selbst. Wer einen Spontanurlaub plane oder ein Land mit dem Rucksack erkunden möchte, dem rät er, sich in einschlägigen Foren als BMX-Jünger zu bekennen. Ob Indonesien, Japan oder Kolumbien – einen Schlafplatz für eine Nacht oder länger stellen Gleichgesinnte in den meisten Fällen gern zur Verfügung. Es gibt auch viele Aktionen, die auf Internet-Plattformen initiiert würden. Die Szene hilft sich untereinander und es wird oft für BMXer aus anderen Ländern Geld gesammelt. So können sie sich zum Beispiel ein neues Sportgerät kaufen, was für viele sonst unerschwinglich wäre.Emerson erinnert sich unter anderem an Spendenaktionen für die Philippinen, Kamerun und Brasilien. Die Aktion heißt Share A Bike Share A Smile. Gerade sei sie in der Ukraine aktiv, habe BMX-Teile und Skateboards ins Land gebracht.

Eines ist Emerson ganz wichtig: Um ein BMX-Profi zu sein, müsse man nicht zwingend seinen Lebensunterhalt mit diesem Sport verdienen. Auch sei BMX mehr, als Tricks zu lernen und zu zeigen. Für ihn ist es eine Lebenseinstellung. „Wer die Gemeinschaft pflegt, sich um Freunde und Anlagen kümmert, leistet einen wichtigen Beitrag.“ Ihm selbst hat die Leidenschaft in den vergangenen 30 Jahren unendlich viel gegeben. „Davon möchte ich auch weiterhin einen Teil an junge Menschen zurückgeben.“ Und der kaputte Fuß? „Der ist in ein paar Wochen vergessen.“