Cannabis, Marihuana, Gras oder Pot. Es gibt viele Bezeichnungen für die getrockneten Blüten der Cannabispflanze, die den meisten von uns als popkulturelles Symbol der Reggae- und Hip-Hop-Bewegung bekannt ist. Als sogenannte „Soft-Droge“ sorgt Cannabis für einen Zustand gesteigerten Wohlbefindens, der mitunter von leichten Wahrnehmungsveränderungen und Trägheit begleitet wird. Über die Legalisierung der Pflanze in Deutschland wird seit Jahrzehnten hitzig diskutiert. Gegner verteufeln Marihuana als Einstiegsdroge mit Freifahrtschein in die Abhängigkeit, die anderen sehen in dem Kraut nichts weiter als ein harmloses Mittel zur Entspannung, vergleichbar mit einem Glas Wein oder einer Zigarette. Nun ist die Pflanze auf dem deutschen Markt als verschreibungspflichtiges Medikament zugelassen – und der Streit hat eine neue Relevanz gewonnen.

Was ist medizinisches Cannabis und wofür wird es angewandt?
Cannabis ist eine Pflanze aus der Familie der Hanfgewächse, zu der auch der Hopfen gehört. Es enthält die Wirkstoffe Dronabinol (THC) und Cannabidiol. Ersterer regt den Appetit an, wirkt schmerzlindernd, entzündungshemmend und entspannend, während Cannabidiol (CBD) entkrampft, Übelkeit hemmt und angstlösend wirkt. Aufgrund dieser Eigenschaften wurde die Pflanze schon im alten China als Heil- und Rauschmittel entdeckt und seitdem in allen Teilen der Welt konsumiert. 

Medizinisches Cannabis wird entweder in Form von Präparaten einzelner Wirkstoffe oder aber in Form getrockneter Blüten verschrieben. Laut Gesetz haben solche Patienten einen Anspruch auf eine Versorgung mit medizinischem Cannabis, denen „eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht“ beziehungsweise „(…) nicht zur Anwendung kommen kann“. In Deutschland wird Cannabis bisher zur Behandlung von Schmerzen, ADHS, Spastizität und chemotherapeutisch bedingter Übelkeit bei erwachsenen Krebspatienten sowie Appetitlosigkeit, Tourette-Syndrom, Darmerkrankungen, Epilepsie und psychiatrischen Störungen verwendet. Derzeit beträgt der geschätzte Jahresbedarf rund 6,6 Tonnen Cannabisblüten. Geht man von der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) veranschlagten Nutzmenge von einem Gramm pro Tag und Patient aus, kann man von rund 18.000 Patienten ausgehen, die aktuell mit medizinischem Cannabis versorgt werden. Dieses darf bisher allerdings nicht in Deutschland angebaut werden, sodass der hiesige Bedarf durch importierte Pflanzen staatlich geprüfter Anbauer aus dem europäischen Ausland gedeckt werden muss. 

Befürworter
Aktiv für die Legalisierung der Pflanze als Arzneimittel und Alltagsdroge setzt sich beispielsweise der Deutsche Hanf Verband DHV ein, dessen Ziel es ist, eine „verbraucherfreundliche Marktregelung für das Genussmittel Cannabis (…) bis zum Eigenanbau“ zu erreichen. Die „Hypothese von Cannabis als Einstiegsdroge“ lehnt der Verein strikt ab. In offiziellen Pressemitteilungen wird auf Studien verwiesen, die die Schädlichkeit von Cannabis im Vergleich mit den Alltagsdrogen Alkohol und Tabak als gering einstufen. Im Gegensatz zu rund 100.000 jährlichen Todesopfern in Deutschland aufgrund eines Überkonsums von Alkohol und Zigaretten sei bisher kein Cannabistoter dokumentiert. „Aus medizinischer Sicht ist das Cannabisverbot nicht zu rechtfertigen“, so der offizielle Standpunkt. Als Arzneimittel sei Cannabis unter anderem aufgrund seiner geringen Nebenwirkungen eine gute Alternative zu herkömmlichen Medikamenten.

Gegner und Zweifler
Kritisch zeigt sich beispielsweise Deutschlands größte Krankenkasse, die TK, in einem umfassenden Report des Jahres 2018. Da die Inhaltsstoffe der Cannabisblüte auch auf die Psyche wirken, so legt der Bericht nahe, können auch unerwünschte Nebenwirkungen auftreten: Klares und stringentes Denken und Aufmerksamkeit können abnehmen. Nebenreize werden viel stärker wahrgenommen, und das Kurzzeitgedächtnis lässt unter Umständen nach. Auch Unruhe, Angst und Panik, Desorientiertheit und Verwirrtheit können beim Konsum von Cannabis auftreten.  Bei regelmäßiger Einnahme über einen längeren Zeitraum kann es unter Umständen zur psychischen Abhängigkeit kommen, schlimmstenfalls in Verbindung mit Psychosen und Halluzinationen. Wer für diese schwerwiegenden Nebenwirkungen anfällig ist und wer nicht, ist bis dato nicht mess- und entsprechend nicht kalkulierbar. 

Der Cannabis-Report bemängelt außerdem, dass die Beweislage bezüglich der Wirksamkeit und Sicherheit von medizinischem Cannabis noch zu inkonsistent sei. Außerdem müssen verschreibende Ärzte weder einer bestimmten Fachrichtung angehören, noch besondere Qualifikationen nachweisen, um Cannabis verschreiben zu dürfen. Zu guter Letzt sei eine Therapie mit Cannabisblüten rund 400 Prozent teurer als dieselbe Behandlung unter Einsatz entsprechender Präparate. Diese seien außerdem wesentlich einfacher zu dosieren und einzunehmen. 

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Apotheker
Apotheker Karl Bedau aus Hüls zählt mehrere Cannabis-Patienten zu seinem Kundenstamm und sieht die Sachlage neutraler. „Cannabis ist kein Wundermittel“, so der 58-Jährige. Aber es sei bei Erkrankungen wie chronischen Schmerzen, Spasmen, Multipler Sklerose oder zur Linderung der Nebenwirkungen von Chemotherapie- und AIDS-Medikamenten durchaus eine Alternative zu herkömmlichen Mitteln. Seine Kunden zeigten sich bisher durchgehend zufrieden mit dieser Alternative. Vor allem seien die Pflanze oder Präparate besonders für solche Patienten geeignet, die bereits austherapiert sind und mit Hilfe dieser Option ihren Leidensweg ein wenig komfortabler gestalten können. „Und man muss dazu sagen: Cannabis hat weniger unmittelbare ungewollte Nebenwirkungen auf den Organismus als Alkohol, der aber als absolut salonfähig gilt“, gibt der Apotheker zu bedenken.

Allerdings bestätigt Karl Bedau auch das von der TK bemängelte Fehlen ausreichender Studienergebnisse zur Wirkweise des Cannabis und kritisiert die Darreichungsformen. „Es wurde verpasst, genormte, gut dosierbare Medikamente mit den Wirkstoffen der Cannabisblüte herzustellen. Die Dosierung in gerauchter oder getropfter Form sei ungenau. „Das Zeug zu rauchen, ist mittelalterlich. Da sind wir von den Möglichkeiten her schon viel weiter“, findet der Krefelder, denn obwohl die Blüten in der Apotheke nochmals auf Identität, das heißt Echtheit und Qualität, geprüft werden, kann die Wirksamkeit variieren – und mit ihr auch die Nebenwirkungen. „Dass so viele Patienten das Rauchen der Blüten bevorzugen, liegt vermutlich daran, dass viele damit immer noch etwas Mystisches verbinden“, mutmaßt Bedau. 

Zusammengefasst entsteht ein durchaus positiver Eindruck von Cannabis als Medikamentenalternative. Die schlechte Kalkulierbarkeit der Wirkung ließe sich durch die Herstellung genormter Medikamente lösen. Ob dieser Ansatz allerdings verfolgt wird, wird sich in der Zukunft zeigen. Cannabis als reine Einstiegsdroge zu verteufeln, negiert jedenfalls die bestehende Realität, dass die Pflanze bereits vielen Tausend Patienten im Kampf gegen schwere Krankheit hilft. 

Weiterführende Informationen:
Über die Wirkstoffe Dronabinol und Cannabidiol: www.bionorica-ethics.de, zur Legalisierung von Cannabis, aufgeführt vom Deutschen Hanfverband: www.hanfverband.de/themen/cannabis.
Der Cannabis-Report der Techniker Krankenkasse: www.tk.de/tk/themen/arzneimittelversorgung/cannabis-report-2018/982398.
Ein Vortrag des Experten Prof. Dr. Theodor Dingermann: www.youtube.com/watch?v=eRPDgMQGl_0