Er steht aufrecht, die Füße mit ganzer Sohle auf dem Boden. Er kippt seinen gesamten Körper einen Hauch nach vorne, einen Hauch nach hinten, kommt zurück in die Mitte. Er breitet seine Arme aus, schüttelt die Hände, steht still, spürt nach, wie es in seinen Armen pulsiert. Peter Sch.* aus Krefeld probiert gerade eine ungewöhnliche Medizin gegen seine Schlafstörungen: Der 66-Jährige macht Heileurythmie.

Die Wintersonne ist fleißig an diesem Morgen, hell und kräftig scheint sie durch das Fenster. Wir stehen in einem Behandlungsraum des „Therapeutikums Krefeld“ , dem Zentrum für Anthroposophische Medizin in der Seidenstadt. Anthroposophie bedeutet soviel wie Weisheit vom Menschen und übersetzt in den medizinischen Bereich heißt das: Die Anthroposophische Medizin will die Schulmedizin erweitern, indem sie nicht nur den Körper in den Blick nimmt, sondern den Körper im Wechselspiel mit der in ihm wohnenden Seele. Genau das praktiziert Patient Sch. an diesem Morgen, betreut wird er von Michael Kurnatowski, 58, Diplom-Heileurythmist am Therapeutikum Krefeld. „In der Heileurythmie lernt ein Patient, bestimmte Bewegungen bewusst empfindend und konzentriert aus seiner ganz individuellen Eigenwahrnehmung heraus auszuführen“ , erklärt Kurnatowski. „Indem ein Patient zum Beispiel seine Arme zu einem Halbkreis öffnet und dabei die Offenheit in dieser typischen Willkommensgebärde in der Tiefe seines Herzens spürt, schafft er so eine heilsame Verbindung der Seele mit seinen Organen.“

Peter Sch. übt sich darin seit einem Jahr. Nicht nur seine Schlafstörungen wolle er mit der Heileurythmie in den Griff bekommen, erzählt der Herr mit den freundlichen Augen und den weißen, welligen Haaren. Auch die schulmedizinische Therapie für sein Rheuma, unter dem er leidet, wolle er unterstützen. Und es klappt: „Ich schlafe viel mehr, seit ich dieses  Therapieangebot wahrnehme, und meine Blutwerte haben sich auch  verbessert“ , nickt Peter Sch.. Er ist einer von insgesamt rund 7 .000  Patienten, die das Therapeutikum Krefeld mit sieben Ärzten und neun Therapeuten betreut. Seit Anfang der 80er-Jahre gibt es das Anthroposophische Zentrum in Krefeld, das auf Basis einer bereits bestehenden Arztpraxis an der Moerser Straße entstand. Von Beginn wurde es von einem gemeinnützigen Verein getragen, der es Menschen durch einen Therapiefonds ermöglichen wollte, anthroposophische Behandlungen, die nicht von jeder Krankenkasse übernommen werden, dennoch in Anspruch nehmen zu können. Und das ist bis heute so.

Bis heute ist der Verein auf stolze 242 Mitglieder angewachsen. Seit drei Jahren befindet sich das Therapeutikum auch nicht mehr an der Moerser Straße, sondern an der Uerdinger Straße in den Räumen der ehemaligen Krawattenfabrik Pfau. Eine Arztpraxis mit Internisten und Allgemeinmedizinern bildet nach wie vor das Herz des Therapeutikums als erste  Anlaufstation, um zu klären, was ein Patient braucht. Die Behandlungen sind flexibel und nicht auf eine medizinische Methode festgelegt. Benötigt ein Patient ein Antibiotikum, bekommt er sein Antibiotikum. Auch alle anderen gängigen Methoden der Schulmedizin können Anwendung finden. Benötigt er darüber hinaus aber noch eine Behandlung, die seinem Innenleben eine neue Struktur gibt, haben die Ärzte wie kaum anderswo eine breite Auswahl an ergänzenden Therapieformen: von weniger bekannten wie Heileurythmie, Sprachgestaltung oder dem Plastizieren, dem Arbeiten mit Ton, Holz, Speckstein bis hin zu bekannteren wie der Maltherapie. Auch diese Therapie folge einem ganzheitlichen Ansatz,  erklärt der zuständige Therapeut Ulrich Paul: „Wir lassen die Patienten keine Bilder malen, um diese anschließend mit ihnen zu analysieren“ , so der 48-Jährige. Vielmehr gehe es darum, dass der Patient im intuitiven Malprozess „unmittelbar mit sich selbst, seinen Fragen und Lebensthemen in Beziehung tritt. Gerade angesichts von Krise oder Krankheit kann der Patient hier neue Impulse und eine Stärkung seiner Ressourcen erfahren“ . Alexandra B.*beispielsweise nutzt die Maltherapie, um Stress zu bewältigen. Gerade steht die 36-jährige Mutter von drei kleinen Kindern in der Malwerkstatt und bearbeitet ein Blatt Papier mit farbiger Kreide. „Das wirkt total ausgleichend auf mich, ich kann hier alte Muster loslassen und probiere Neues aus“ , nickt Alexandra B. und lächelt.

Gesundheit wird im Therapeutikum nicht als Zustand begriffen, sondern als andauernder Prozess, den man immerwährend pflegen sollte, im Sinne der Salutogenese, der Erhaltung von Gesundheit also. Dies dürfte umso besser gelingen, als dass sich mit der Schul- und der ganzheitlichen Medizin zwei medizinische Ansätze gefunden haben, die sich ergänzen. Wie effektiv es ist, wenn beide sich anerkennen und bereichern – das Therapeutikum macht es vor und ist eines der wenigen und größten Gesundheitseinrichtungen Deutschlands seiner Art. Und es breitet sein besonderes Gesundheitskonzept noch weiter aus: Mit Zugang von der Bogenstraße ist ein Neubau fertig geworden, in dem ein Frauenarzt und eine Kinderärztin, Therapeutinnen für Rhythmische Massage, Künstlerische Biografiearbeit und Eurythmietherapie/Heileurythmie eingezogen sind sowie zwei Psychotherapeutinnen für Kinder und Jugendliche. Und wer jetzt vollends neugierig geworden ist, sollte sich den 6. Mai 2017  vormerken: An diesem ersten Samstag im Mai lädt das Therapeutikum Krefeld ab 14.30 Uhr zum „Tag der offenen Tür“ – ein toller Start in den Frühling und vielleicht der Beginn einer neuen Reise: zu sich selbst.

Therapeutikum Krefeld, Zentrum für Anthroposophische Medizin, Uerdinger Str. 110, 47799 Krefeld, Tel.: 02151/631075, www.therapeutikum-krefeld.de 

*vollständiger Name der Redaktion bekannt